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KlassikAkzente Jahresrückblick: Die besten Klassik-Alben 2016

Jahresrückblick 2016
© DG
06.12.2016
Den letzten Jahresrückblick, ich weiß es noch ganz genau, hatte ich mit Ho!Ho!Ho! begonnen. Diesem hier möchte ich gern die Frage voranstellen: wann schneit’s eigentlich mal wieder?! Also ich meine so richtig, mit meterhohen Schneewehen, Flockensturm im Laternenlicht und Milliarden von glitzernden, ruhig dahingleitenden traumhaft schönen Eiskristallen in aberwitzigen Formen vor den Fenstern! Nicht das vereinzelte Heruntertaumeln von zwei bis drei verirrten Schneeflocken, die, so sie ihn denn überhaupt erreichen!, auf dem Boden nur einen feuchten schmutzigen Fleck hinterlassen… Ich weiß, ich sehe mich da einer starken Gegnerschaft gegenüber, passionierten Autofahrern, Lokomotivführern, Mitarbeitern im Winterdienst, Piloten und vielen anderen, aber ja, ich gestehe es: ich will Schnee, ich will Weiße Weihnacht. Da wird einem doch gleich nochmal so feierlich und wohlig ums Herz zumute. Wenn man dann im Kerzenschein – echte Kerzen, wohlgemerkt, nichts Elektrisches! – mit Stollen auf dem Teller und verklärtem Weihnachtsblick feststellt: Jessesmaria, da fehlt ja noch was… etwas, ohne das Weihnachten ja eigentlich gar nicht funktioniert, quasi komplett stimmungsbefreit an einem vorüberzieht. Richtig, die Musik! Und zwar: die richtige Musik. Natürlich überlassen wir das ganz und gar Ihrem Gusto, welche Musik für Sie genau die richtige sein könnte. Aber: einen kleinen Anstoß hier, eine wohlgemeinte Erinnerung da werden Sie uns ja wohl nicht verwehren, oder? Es ist schließlich Weihnachten, das Fest des Friedens… und der Freude… und, na ja, Sie wissen schon…
Es fällt gar nicht leicht, aus der Fülle von spannenden Aufnahmen etwas auszuwählen, aber natürlich steht in diesem Jahr Anna Netrebko ganz oben auf der Liste. Lange haben wir warten müssen, aber letztendlich ist es genau das Album geworden, das wir uns alle erhofft haben: stark, faszinierend und schlichtweg überwältigend: “Verismo”, der state of the art einer Sängerin, die heutzutage das Sine-qua-no auf den internationalen Opernbühnen darstellt. Mit dem ECHO-Klassik 2016 ausgezeichnet, an der Dresdner Semperoper mit mehr als “nur” Bravour ihre allererste Wagnerrolle gesungen und bei den Salzburger Festspielen als Puccinis Manon Lescaut das Ereignis des Festspielsommers: mehr geht nicht! Und ob Sie nun zum Soloalbum “Verismo” oder zum Salzburger Livemitschnitt der “Manon Lescaut” greifen – hier haben Sie in jedem Fall “den richtigen Griff” getan. Ganz anders und dennoch ganz genauso: hochemotional, perfekt gesungen und Ausdruck einer durch und durch starken Persönlichkeit, das ist “Revive”, das neue Soloalbum von Elina Garanca. Ihr haben es die starken Frauen angetan, die in schwachen Momenten ihre Verletzlichkeit spüren, aber im selben Moment auch ihre Kraft, diese vorübergehende Schwäche zu überwinden und nun stärker, strahlender und schöner denn je aus der Krise hervorgehen. Vieles von dem, was Elina Garanca singt, nimmt ihre Rollendebüts der kommenden Jahre vorweg: Santuzza, Eboli, Didon, Dalila. Sie meinen, das alles klingt ein bißchen autobiographisch? Honni soit qui mal y pense… Ganz anders, aber darum nicht weniger spektakulär: “Rossini”, das neue Album des Counter-Künstlers Franco Fagioli. Er beläßt es nicht beim Bedauern, dass Rossini nur eine seiner Opernrollen für Kastraten geschrieben hat, er nimmt sich einfach jede Rolle vor, die Rossini für Kastraten geschrieben haben könnte und zeigt, was diese dann daraus gemacht hätten. Ein faszinierendes Experiment, eine virtuose Demonstration des Argentiniers – bravissimo!
Wer es mit Wilhelm Busch hält und bei gesungener Musik findet: “Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden”, dem kann natürlich auch geholfen werden. Sagen wir mal, mit Klaviermusik. Die wird in der Regel als wohltuend empfunden, ob sie nun virtuos halsbrecherisch, in betörend schönem Gleichklang der aber lieblich und zu Herzen gehend daherkommt. Für alles hätten wir die richtige Empfehlung, entscheiden müssen Sie natürlich selbst. Da wäre zum einen der “junge Wilde”, Daniil Trifonov, der sich nicht ohne Hintergedanken einem der größten Tastenlöwen der Klaviergeschichte widmet – Franz Liszt. Unter dem Titel “Transcendental” entfacht er mit sämtlichen Klavier-Etüden des Meisters ein Feuerwerk, bei dem einem schon vom bloßen Hinhören ganz schwummerig wird, geschweige denn, wenn man ihn dazu dann auch noch sieht – wie im Herbst in einer sensationellen Yellow Lounge in Berlin geschehen! Damals stand ihm ein junger Koreaner zur Seite, dessen Namen man vor gut einem Jahr noch kaum gehört hatte, geschweige denn im Zusammenhang mit jenem des großen polnischen Komponisen-Pianisten Frédéric Chopin. Seong-Jin Cho heißt der junge Mann, seines Zeichens Gewinner des Warschauer Chopin-Wettbewerbs 2015 und seitdem nicht nur südkoreanischer Nationalheld, sondern auch Exlusivküstler der Deutschen Grammphon. Mit zwei Chopin-Alben hat er in den zurückliegenden Jahren seinen Anspruch unter Beweis gestellt, der Chopin-Interpret einer neuen, jungen Generation zu sein. Und nicht nur auf seinen Alben, auch in der bereits erwähnten Yellow Lounge ließ er an desem seinem Anspruch keinerlei Zweifel aufkommen. Ein Ereignis, vom Band ebenso wie im Konzertsaal! Doch Klavierspiel ist keine Männerdomäne, und dafür sorgt in diesem Trio Alice Sara Ott mit ihrer feinfühligen und facettenreichen Hommage an die Musik von Edvard Grieg unter dem Titel “Wonderland”. Das deutsch-japanische Multitalent – jüngst hat sie sich gar als wunderbar kreative Designerin einer exklusiven Taschenserie beim renommierten Luxus-Label JOST hervorgetan! – nimmt uns mit auf eine Reise in Griegs verspielte Mniaturen-Landschaft und nicht nur der “Zug der Trolle” und “In der Halle des Bergkönigs” kommen uns doch auch als solistische Klavierstücke bekannt vor. Doch der Generationswechsel ist damit noch nicht ganz vollzogen: mit Grigory Sokolov, der sich seit seiner Exklusivität auf dem Gelblabel  längst aus dem Status eines Geheimtipps begeben hat und – die Sensationsnachricht des zurückliegenden Jahres! – dem Wechsel von Murray Perahia zur Deutschen Grammophon, haben diese zwei “Altmeister” mit ihren Veröffentlichungen eines Livemitschnitts aus Berlin mit Musik von Schubert, Beethoven, Rameau und Brahms sowie den Französischen Suiten von Johann Sebastian Bach ihren jungen Kollegen den “Fehdehandschuh” zugeworfen. Und wie sehr man gerade mit Sokolov und Perahia noch rechnen muss, zeigen ihre beiden Aufnahmen voll Grandezza und Vollendung, die ihresgleichen sucht. Pianistische Schönheit pur!
Wem das alles nun aber zu konservativ, altbacken und wenig zeitgemäß erscheint, für den öffnen wir einfach mal das Schatzkästchen der klassisch orientierten Musik unserer Zeit. Und wenn Ihnen Namen wie die oben Erwähnten eher fremd vorkommen, dann dürfte Ihnen bei Jóhann Jóhannsson, Ludovico Einaudi oder Olafur Arnalds das musikalische Herz ein wenig höher schlagen. Während der italienische Gentiluomo eine wunderbare Deluxe-Version seiner erfolgreichen Elements-Aufnahme mit zahlreichen Extras und Bonustracks präsentiert, hat sich der isländische Expermentalkomponist Arnalds dem musikalischen Erbe seiner Heimat zugewandt und auf “Island Songs” eine hinreissende und vielschichtige Reise zu den Orten seiner Kindheit und Jugend komponiert – eine Reise voller Volksmusik im besten Sinne des Wortes und mit der Faszination einer für viele noch immer fernen Inselwelt. Der dritte im Bunde, ebenfalls aus Island, gilt seit Jahren as einer der besten und kreativsten Filmmusikkomponisten Hollywoods, Filme wie “Sicario” oder “Prisoners” mit ihren oscarnominierten Soundtracks oder dem jüngsten Coup “Arrival” legen davon Zeugnis ab. Auf “Orphée” nun widmet er sich nach acht Jahren der Abstinenz wieder der Kammermusik und seinen Anfängen als Komponist. In kleinteiligen Kompositionen verarbeitet Jóhannsson seinen Umzug in die Metropole  Berlin ebenso wie Träume und Wünsche, mit wenigen musikalischen Mitteln zeichnet er skizzenhaft Bilder von nachgerade impressionistischer Klangschönheit. Apropos Filmmusik: Ennio Morricones Jubiläums-Album “Morricone 60” ist ein must have nicht nur für Freunde guter Soundtracks, sondern auch für alle Verehrer dieses unendlich einfallsreichen monstre sacré der Filmmusik!
Bleiben die Sammlungen für Liebhaber und Connoisseurs. Mt der monumentalen Box von “Mozart 225” haben die kreativen Köpfe dieser schier “unendlichen Geschichte” nicht nur dem beliebstesten aller klassischen Komponisten ein Denkmal gesetzt, sondern auch sich selbst! Wer diese neue Mozart-Gesamtausgabe mit jener gefeierten Philips Classics-Box von vor zwei Jahrzehnten vergleicht, wird anhand des neuen, breit gefächerten Inhalts von den Fortschritten der Mozart-Forschung und der Musikforschung im allgemeinen geradezu überwältgt werden und genügend Stoff zum Hören und Nachlesen finden. Stoff, der jedes Jahr zu einem Mozart-Jahr macht! Keine 225 Jahre, wohl aber 50 Jahre, von denen jedes einzelne den großen Verlust und die Lücke, die sein Tod gerissen hat, dokmentieren, liegt der plötzliche Tod des größen deutschen Tenors der Nachkriegszeit zurück: Fritz Wunderlich. Mit der Veröffentlichung sämtlicher Deutsche Grammphon-Aufnahmen liegt hier ein wertvolles und klingendes Kompendium jenes Tenors vor, für den es scheinbar keine Grenzen in der Musik gab – gleich aber nicht genretechnisch. Eine Glanzleistung. Und Svjatoslav Richter? Nehmen Sie seine große Deutsche Grammophon-Hommage als eine persönliche Empfehlung meinerseits. Bestechend ehrlich, kraftvoll und an manchen Stellen unendlich traurig: sein ungelebtes Leben hat der große russische Pianist in seinen Aufnahmen verewigt – ein tragisches Menschen-, ein großartiges Musikerschicksal.
Selbstverständlich dufte im zurückliegenden Jahr auch gehört und geschaut werden: mit Katharina Wagners zweiter Bayreuther Festspiel-Produktion, “Tristan und Isolde”, dürfte so mancher Wagnerianer sich einen raum erfüllen: sei es, um das grandiose Dirigat von Bayreuths Musikdirektor Christian Thielemann noch einmal “nachzuhören”, oder aber um Verpasstes nachzuholen – und sei es auch nur auf “Konserve”. Ach Salzburg konnte mit Bartolis phänomenaler Cleopatra in Händels “Giulio Cesare in Egitto” für sich einnehmen: einer Produktion voller Witz, verückter Ideen und atemberaubend schönem virtuosem Barockgesang. Und wer auch hier eher mit dem Non-Vokalen liebäugelt: dem sei – noch einmal – Grigory Sokolov ans Herz gelegt mit seinem Livemitschnitt “Live aus Berlin”. Nun aber hör- und sichtbar.
Das war das musikalische Jahr 2016 aus Sicht der Deutschen Grammophon. Natürlich nur jene Aufnahmen, die hier stellvertretend für einen Katalog der Extraklasse stehen, den zu erkunden ich Ihnen ans Herz legen möchte. Und würden Sie mich nach meiner ganz persönlichen Aufnahme des Jahres fragen, dann würde ich Ihnen “Palestrina” mit der Cappella Sistina empfehlen. Auflegen, gemütliche Position einnehmen und wegtragen lassen von einer Musik, die jenen Frieden in unsere Seelen zu bringen vermag, von der Weihnachten zu allen Zeiten musikalisches Zeugnis ablegte – in guten wie in schlechten Zeiten. 

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