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Hölderlin und Polizeipfeifen

16.05.2003
Die Musik Geörgy Kurtágs lässt sich seit einem Dreivierteljahrhundert schwer einordnen – zumal er sie ständig neu erfindet.
“Sie ist zerbrechlich, schutzlos, wie unbeholfen tastend durchs Weglose, schwankend zum Rand des Verstummens hin – aber dabei glühend von emotionaler Intensität.” So beschreibt Hartmut Lück, ein Kenner, György Kurtágs Musik. Man möchte hinzufügen, dass diese Intensität so faszinierend ist, weil sie nur wenige Augenblicke währt, ja oft als hochkonzentriertes, klingendes Bruchstück auftaucht.
 
György Kurtág, geboren 1926, gehört neben György Ligeti zu den maßgeblichen ungarischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Der besondere Reiz seiner Musik ist die Art, wie sie sich immer wieder neu erfindet – am eindruckvollsten 1959, als György Kurtág nach einer schweren Lebens- und Schaffenskrise mit dem Komponieren völlig von vorne begann. Vorangegangen war ein noch tonales Frühwerk, das in der Tradition Bartóks und teilweise der ungarischen Folklore stand. Kurtágs spezifische Sensibilität aber war schon da zu spüren. Ende der 1950er Jahre Student bei Messiaen und Milhaud, hörte Kurtág Werke von Stockhausen und beschäftigte sich insbesondere mit dem Werk Anton Weberns, des Meisters der Miniatur. Die Form der aphoristisch zugespitzten Miniatur wird zum Markenzeichen Kurtágs, meisterhaft kommt diese Kunst in seinen Werken der letzten Jahre zum Tragen.
 
Zwischen 1993 und 1996 entstanden die jetzt von Kurt Widmer vorgetragenen sechs Hölderlin-Gesänge für Bariton op. 35 a, in denen neben Gedichten von Friedrich Hölderlin auch Lyrik von Paul Celan vertont worden ist. “Signs, Games & Messages” ist eine seit 1989 im Wachsen begriffene Sammlung klanglicher Tagebucheintragungen Kurtágs, ein “work in progress” für Streichtrio. Mit einer schillernden Vielfalt klingender Widmungen und Figuren erweist der Ungar hier Musikern wie Johann Sebastian Bach und John Cage genauso seine Reverenz wie Franz Kafka und dem Regisseur Andrej Tarkowskij. Kurtágs op.36 schließlich, Vertonungen von Samuel-Beckett-Gedichten, verdichtet Streichtrio, Bariton und Schlagzeug zu einer ungeheuer ausdrucksmächtigen Klangpalette, in der sich das Lakonische der Beckettschen Sprachartistik wiederfinden lässt. Kurtág spitzt die Musik entsprechend zu und scheut sich auch nicht, schrille Akzente einzusetzen, wenn er etwa im vorletzten Satz des Zyklus eine Polizeipfeife vorsieht. Ähnlich faszinierend wie das Keller Quartett in der Musik für Streichinstrumente die Klangwelt Kurtágs erschließt, bringt in dieser Aufnahme das Orlando Trio seinen lyrischen Kosmos wahrhaft zum Leuchten.

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