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ECM New Series-Jahresrückblick 2016

ECM New Series
© ECM
15.12.2016

Danish String Quartet: berauschend und innovativ

Das Dänische Streichquartett gilt als eines der vitalsten Kammerensembles der Gegenwart. Auf ihrem ersten Album für die ECM New Series präsentieren sich die vier jungen Streicher mit spannenden Werken ihrer Landsmänner Per Nørgård und Hans Abrahamsen sowie des jungen britischen Komponisten Thomas Adès. “Mit dieser Zusammenstellung von drei frühen Quartettkompositionen präsentiert das Danish String Quartet eine wirklich interessante Werkauswahl”, meinte Meret Forster auf BR Klassik, “vor allem aber bleibt es sich treu und setzt auf seine unverwechselbaren Stärken: auf risikofreudiges, gespanntes, kontrastreiches und überaus präzises Musizieren. So versprüht diese CD musikalische Aufbruchsstimmung und Jugendlichkeit – und sei es als Sehnsuchtsprojektion Arkadiens.” In Fono Forum schrieb Christoph Vratz: “Das Dänische Streichquartett scheut kein Risiko. Muss es auch nicht, denn der Klang bleibt immer intensiv und ausdrucksstark, beispielsweise bei den kleinen dynamischen Rückungen am Beginn des zweiten Abrahamsen-Prelude. Selbst beißende Harmonien werden hier nicht plump ins Schaufenster der Moderne gestellt, sondern in ein Ganzes, eine Erzählung eingebettet, und sei sie noch so knapp formuliert. Eine berauschende, innovative Aufnahme.”

Miranda Cuckson & Blair McMillen: unprätentiös und schnörkellos

Eine außergewöhnliche große Spannbreite an Ausdrucksmöglichkeiten offenbart die junge Meistergeigerin Miranda Cuckson auf ihrem Debütalbum für die ECM New Series. Begleitet von dem US-amerikanischen Pianisten Blair McMillen interpretiert die gebürtige Australierin hier Kompositionen des 20. Jahrhunderts von Béla Bartók, Alfred Schnittke und Witold Lutosławski. “Die slawischen, dunklen, mal melancholischen, mal ruppigen Klänge von Bartok, Schnittke und Lutosławski haben sie schon als Elfjährige fasziniert und waren Inspiration für die junge Musikerin, weiter zu üben und sich den kompositorischen Kosmos der modernen Klassik zu erschließen”, berichtete Annika Täuschel auf BR Klassik. “Wenn man sie jetzt damit hört, transportiert sich sofort, dass Miranda Cuckson in diesen Klangwelten zu Hause ist, geigerisch, spieltechnisch und gestalterisch. Sie lädt nichts künstlich auf, wo nichts ist. Sie fühlt sich wohl, in den reduzierten, abgehackten, manchmal verstörend minimalistischen, mitunter aggressiven, mitunter zärtlichen, auch humorvollen Fetzen und Phrasen. Eine wunderbar unprätentiöse, schnörkellose Interpretation, bei der die Duo-Partner fast komplett hinter die Werke zurücktreten, und die genau deshalb so von ihnen und durch sie lebt.”

Tõnu Kõrvits: exzellente Einführung in das Werk des estnischen Komponisten

Der 1969 in Tallinn geborene Tõnu Kõrvits gilt als einer der größten Hoffnungsträger der estnischen Komponistenszene. Bei einem Festival in seiner Heimat begegnete er vor acht Jahren das erste Mal der Cellisten Anja Lechner. Nun wirkte die Deutsche an der Einspielung von Kõrvits ECM-Debüt “Mirror” mit: es handelt sich um Musik, die wechselweise elegisch, vibrierend oder meditativ klingt. In Nordische Musik berichtete Ingo J. Biermann: "Da die Begegnung der vielseitigen Cellistin Anja Lechner mit Tõnu Kõrvits der entscheidende Grundstein für diese CD war, räumen die meisten der hier vertretenen Werke dem Cello bzw. den klassischen Streichinstrumenten einen markanten Raum ein, seien es die poetisch schillernden sieben Sätze der Streichersuite ‘Labürindid’ (‘Labyrinths’), welche mit Wiederholungen und faszinierend abwechslungsreichen Klangbildern erzählt, seien es die Begegnungen von Cello und Chor, die von Anfang an sofort eine ganz eigene, bewegende Lied-Lyrik erschaffen oder eben das seinem Titel entsprechend traumhaft schwebende, naturmystische ‘Seven Dreams of Seven Birds’, das Kõrvits für dieses Programm aus der originalen Form als Konzert für Cello und Kammerorchester um einen Chor erweiterte. […] Das Album ‘Mirror’ ist in der Interpretation des zuverlässig herausragenden Dirigenten Tõnu Kaljuste, ‘seines’ Kammerorchesters sowie der Solisten eine exzellente Einführung in das Werk dieses hierzulande unbedingt noch zu entdeckenden Esten.


Thomas Zehetmair & Orchestre De Chambre De Paris: Klarheit im Mehrdimensionalen (und Abgründigen)

Der Salzburger Geiger Thomas Zehetmair hat ein ausgesprochenes Faible für Robert Schumann. Für sein erstes ECM-Album mit Kompositionen des Romantikers gewann er 2003 zahlreiche Preise. Nun knüpft er auf einem neuen Album mit dem Orchestre de Chambre de Paris daran an. “Auch wenn Zehetmair gerade in diesem Werk nicht an melancholischen Schüben und nostalgischen Farben spart, besitzt sein Klang eine Haltung, wie man sie schon immer bei ihm und damit erneut auch beim Violinkonzert bewundern kann”, schrieb Guido Fischer in Rondo. “Klarheit im Mehrdimensionalen (und Abgründigen), intellektuelle Neugier sowie eine Anteilnahme, die meilenweit von romantischem Pathos und Leiden entfernt ist – das sind die Grundtugenden, mit denen hier ein Musiker seinem Ruf als vielleicht anregendster Schumann-Geiger der letzten Jahre und Jahrzehnte untermauert.”


Rolf Lislevand: Preziosen der barocken Lauten- und Gitarrenmusik

Zweimal gewann der Lautenist und Gitarrist Rolf Lislevand in seiner Heimat schon den Spellemannprisen, das norwegische Pendant zum Grammy. Mit seinem ECM-Debüt könnte ihm vielleicht bald der dritte Streich gelingen. Auf “La Mascarade” ist er mit Werken der Barockkomponisten Francesco Corbetta und Robert de Visée auf der hell klingenden Barockgitarre und der dunkel tönenden Theorbe zu hören, einem Lauteninstrument, dem sich Lislevand bereits in seinem Studium ausgiebig widmete. “In der Nische barocker Lauten- und Gitarrenmusik zählen die Stücke von Robert de Visée und Francesco Corbetta zu den echten Preziosen”, erklärte Andreas Nachtsheim auf WDR 3, “hier treffen Virtuosität und Spielfreude, aber auch musikalische Tiefe und Raffinement genial zusammen. Und die Art, wie Rolf Lislevand diese Musik spielt, ist definitiv einzigartig: er beherrscht dieses Repertoire sowohl technisch als auch musikalisch-ausdrucksmäßig souverän. Gleichzeitig kommt bei ihm nichts akademisch daher, sondern alles ist so frisch, voller Spielfreude und darüber hinaus mit einem Feeling für Timing und Harmoniefolgen, das man eher bei Jazzmusikern erwarten würde. Diese Aufnahme ist ein unbedingtes Muss für Fans dieser Musik und sicher auch eine formidable Einstiegsdroge.”


Carolin Widmann & Chamber Orchestra of Europe: Klangkultur in bester Einheit

Eigentlich ist die Münchner Geigerin Carolin Widmann vor allem als exzellente und experimentierfreudige Interpretin Neuer Musik bekannt. Doch mit derselben Verve widemet sie sich hin und wieder auch älterer Geigenliteratur, so wie auf ihrem neuen Album mit Violinkonzerten von Felix Mendelssohn Bartholy und Robert Schumann. Begleitet wird Widmann dabei vom Chamber Orchestra of Europe, das sie selbst leitet. In seiner Spiegel-Online-Rezension schrieb Werner Theurich: “Ihr schlanker, biegsamer Ton (sie spielt eine Guadagnini-Violine von 1782) fügt sich bei der neuen Aufnahme einschmeichelnd süß mit dem Chamber Orchestra of Europe zusammen, das in seiner jungen Geschichte (gegründet 1981 und in London ansässig) schon bald zu einem der angesehensten Kammerensembles wurde. ‘Kammer’ ist hier relativ: Das flexible Orchester hat zeitweilig über 50 Mitglieder. Im dritten Satz des Mendelssohns-Konzertes verbreiten alle zusammen beinahe spritzige Champagnerlaune, eleganten Swing und Klangkultur in bester Einheit.”

Frode Haltli, Bent Sørensen & Hans Abrahamsen – akustisches Spiel mit Identitäten
Folk, Jazz, Experimentalmusik und Zeitgenössische Klassik – der norwegische Akkordeonist Frode Haltli tanzt seit vielen Jahren parallel auf einer Vielzahl musikalischer Hochzeiten. Und macht dabei stets eine ausgesprochen gute Figur. So wie auf seinem zweiten Soloalbum “Air” für die ECM New Series mit eigens für ihn komponierter Kammermusik von Bent Sørensen und Hans Abrahamsen. “Zu seinen erfolgreichsten Stücken gehört das Konzert für Akkordeon und Streichorchester, das Sørensen vor sechs Jahren für den Norweger Frode Haltli schrieb”, notierte Jan Brachmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. “Das Konzert beginnt mit einem scheu gestrichenen A der Solo-Violine, das ein langsames Erwachen des Orchesters auslöst: Es atmet ein und seufzt mit einem resignierten Lächeln. Das Akkordeon schleicht sich in den Klang als Gast, der zur Familie gehören will. Ein akustisches Spiel mit Identitäten kommt in Gang, doch am Schluss steht Einsamkeit. […] Mit Frode Haltli und den Trondheim Soloists hat der Komponist auf dieser CD seine idealen Interpreten. Haltli spürt in den Momenten des Alleinseins eine Süße auf, die zugleich ein beklemmendes Auf-sich-selbst-Zurückgeworfensein enthält. Keine Erfüllung ohne Bitterkeit, keine Virtuosität ohne Verlorenheit.”


Arvo Pärt: die Kunst der Beschränkung als Schlüssel zur Unendlichkeit

Das estnische Vokalensemble Vox Clamantis ist bekannt für sein spirituelles Feingespür. Unter dem Titel “The Deer’s Cry” hat es ein neues, unter die Haut gehendes Album vorgelegt, das dreizehn geistliche Chorwerke von Arvo Pärt enthält, darunter drei Ersteinspielungen und eine a cappella-Version eines sonst instrumental begleiteten Stückes. Thorsten Preuß besprach das Album auf BR Klassik: “Dirigent Jaan-Eik Tulve lässt den Miniaturen die Zeit, die sie zur Entfaltung brauchen, sein Ensemble Vox Clamantis verfügt über die intonatorische Reinheit, aus der die spirituelle Reinheit der Musik erst erwächst, und über die Präzision und Disziplin, die die Mutter der Kontemplation ist. Stück für Stück, Mosaikstein für Mosaikstein fügt sich so das stimmige Porträt eines Komponisten zusammen, bei dem die Kunst der Beschränkung der Schlüssel ist zur Unendlichkeit.” In Nordische Musik meinte Ingo J. Biermann wiederum: “Es herrscht wahrlich kein Mangel an Aufnahmen mit Arvo Pärts Chorwerken, doch ‘The Deer’s Cry’ kann aufgrund des mit Bedacht zusammengestellten Programms, das mehrere Ersteinspielungen beinhaltet, und der fachkundigen Interpretation der estnischen SängerInnen als Referenzeinspielung empfohlen werden.”


Kim Kashkashian & Lera Auerbach: kurzen melodischen Linien von poetisch-melancholische Kraft

Die Bratsche fristete lange Zeit ein Nischendasein unter den Soloinstrumenten. Dass sich diese Lage allmählich bessert, kann als ein wesentliches Verdienst von Kim Kashkashian gelten. Die amerikanische Bratschistin hat durch ihre regelmäßige Kooperation mit zeitgenössischen Komponisten das Repertoire für Viola maßgeblich erweitert, und ihre Aufnahmen klassischer und romantischer Werke haben erheblich zur Popularisierung des Instruments beigetragen. Für “Arcanum” spielte Kashkashian 24 Präludien von Schostakowitsch und eine eigens für sie komponierten Sonate von Lera Auerbach ein. “Den aphoristischen Präludien Schostakowitschs wird diese Bearbeitung durch Lera Auerbach auf frappierende Weise gerecht”, befand Juan Martin Koch in der Neuen MusikZeitung. “Von Kim Kashkashian grandios gespielt, entwickeln die kurzen melodischen Linien poetisch-melancholische Kraft, die Miniaturdramen weiten sich ins Kammermusikalische.” In Fono Forum lobte Johannes Schmitz: “Das große Ereignis dieser Aufnahme ist (einmal mehr) das Violaspiel von Kim Kashkashian […] Jeder Ton legt ein Bekenntnis ab, voll von innerem Glühen, ohne dabei je äußerlich zu werden. […] Auerbach als Pianistin lässt dabei durchaus aufhorchen, verfällt in keine Stereotypen, sondern bleibt lebendig und variabel im Ton. Mit diesen beiden Musikerinnen entfalten die 24 kleinen Charakterbilder eine ungemein ausformulierte und zugleich espritreiche Wirkung.”


Zsófia Boros: Meisterin der dynamischen Schattierung

Auf ihrem ECM-Debüt “En otra parte” interpretierte die in Wien lebende ungarische Gitarristin Zsófia Boros vor drei Jahren nerben Werken des kubanischen Komponisten Leo Brouwer, auch Stücke des Jazz- und Weltmusikers Ralph Towner, des Flamenco-Virtuosen Vicente Amigo und des Sting-Gitarristen Dominic Miller. Ähnlich eklektisch ist auch das Repertoire ihres zweites Album “Local Objects” ausgefallen, das mit modernen Gitarren-Kompositionen aus Frankreich, Brasilien, Argentinien, Italien und Aserbeidschan aufwartet. Das Klangspektrum reicht diesmnal von einer tänzerischen Milonga über poetisch-nachdenkliche Stücke bis hin zu jazzartigen Episoden. “Boros ist eine Meisterin der dynamischen Schattierung”, konstatierte Tilman Urbach in Stereo, “sie kann sich ganz in ihr Instrument zurückziehen, die angeschlagenen Töne fast in den Bereich des Unhörbaren absenken, um sie dann aufwallend erklingen zu lassen. Sie spielt klug mit Leerräumen, kultiviert die Pause als nachklingenden Raum.”


Meredith Monk: Musikalisches Plädoyer für ökologisches Bewusstsein

Mit den Klängen der Natur hat sich US-amerrikanische Komponistin, Performance-Künstlerin und Vokalistin Meredith Monk eigentlich schon immer intensiv auseinandergesetzt. “On Behalf of Nature”, so Meredith Monk über ihr neues Album, “ist eine Meditation über unser intimes Verhältnis zur Natur, über die innere Struktur der Natur, die Fragilität ihrer Ökologie und unsere wechselseitige Abhängigkeit.” Begleitet wird Monk auf dem Album u.a. von dem Perkussionisten John Hollenbeck, der Harfenistin Laura Sherman und dem Holzbläser Bohdan Hilash. “Meredith Monks Einfluss als Sängerin und Komponistin reicht bis zu Björk und Joanna Newsom und darüber hinaus”, schrieb Seth Colter Walls auf Pitchfork. “‘On Behalf of Nature’ ist ein Plädoyer für ökologisches Bewusstsein, das nicht belehrend ist, sondern einfach nur wunderschön und mitfühlend.”
 

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