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“Typisch” Klassik!? Oder doch nicht?! Eine Studie liefert spannende Erkenntnisse über das Klassik-Publikum

Harmonium
© Flickr/Michel Filion
14.07.2016
Der Klassikwelt eilt der Ruf voraus, dass vor allem wohl situierte Menschen mit weißem Haar die Publikumsreihen füllen und dass der klassische Konzertbetrieb langsam aber sicher vom Aussterben bedroht ist. Grund genug für die neugierigen Musikjournalisten des Magazins “Concerti”, um gemeinsam mit der Hamburg Media School einmal ausführlich hinter die Fassade dieses Klischees zu schauen und die Gedankenwelt der Klassikfans zu erkunden.
Rund 4.742 Menschen zwischen 14 und 74 Jahre haben deshalb zwischen Ende Oktober 2015 und Ende Februar 2016 einen umfangreichen Fragebogen zu vielen Aspekten rund um klassische Musik beantwortet. Darunter waren junge und ältere Menschen, Auszubildende, Berufstätige und Pensionäre – und das quer durch alle Bildungsschichten. Auch die Klassikakzente-Leser wurden explizit dazu eingeladen.
Bei einem Blick auf die Zahlen stellte sich schnell heraus: das Klassik-Publikum ist lange nicht so alt, wie man munkelt. Laut der Studie gingen unter den 20 bis 29-jährigen in den letzten 12 Monaten knapp 80 Prozent mindestens fünf Mal in ein klassisches Konzert – mehr als in allen anderen Altersgruppen. Mit 83,8% aller Konzertgänger stehen klassische Orchesterkonzerte an erster Stelle, an zweiter Stelle folgt mit 64,3% die Oper, dahinter kommen die Kammerkonzerte mit 48,5%. Auch interessant ist dabei: Rund zwei Drittel der Klassikhörer geben an, dass sie in der Freizeit selbst musizieren. Grundsätzlich ist die Neigung, selbst künstlerisch aktiv zu sein, mit rund 43% sehr stark ausgeprägt. Die Ergebnisse der Auswertung zeigen also deutlich, dass die Zielgruppe der Klassikhörer entgegen weit verbreiteter Vorurteile keineswegs allein dem Milieu der etablierten Konservativen zuzurechnen ist, sondern einen breiten Fächer an Lebensstilen ausgeformt hat und dass die Musik für viele Menschen ein lebendiges Element im Alltag der Klassikfans ist.
Zwar besitzt tatsächlich jeder zweite Teilnehmer der Studie einen Hochschulabschluss, jedoch geht es bei der Beschäftigung mit der Musik nicht vorwiegend um den intellektuellen Reiz: Zwei von drei Beteiligten gaben an, dass sie das Hören klassischer Musik grundsätzlich entspannt. Und sogar für 81,1% steht im Vordergrund, dass die Musik sie emotional berührt. Untergliedert nach Altersgruppen, ist der Anteil derer, die sich emotional berührt fühlen, unter den 20- bis 30jährigen besonders groß. Ein schöner Beweis dafür, dass die Ausdruckskraft der klassischen Musik auch im Jahr 2016 in der Wahrnehmung des Publikums entgegen aller Unkenrufe kaum etwas von ihrer Magie eingebüßt hat.
Doch wie wird das Interesse für die Musik überhaupt geweckt? Auch damit hat sich die Studie intensiv befasst. Insgesamt wurde deutlich, dass quer durch alle Altersgruppen und alle Einkommensklassen das engere familiäre Umfeld während der Schulzeit für eine Beschäftigung mit Klassik ausschlaggebend ist. Unter den Jüngeren verstärken vor allem Musikschulen das Interesse, unter den Älteren waren es klassische Medien wie Radio und Fernsehen. Radio und Fernsehen spielen für die jüngeren Generationen eine immer weniger bedeutende Rolle. Wichtiger sind heute die Möglichkeiten, die das Internet bietet: Jeder Dritte schaut Videos auf einer Web-Plattform, jeder Siebte nutzt Audio-Downloads und Audio-Streaming. Für 99 % der Klassikhörer gehören die digitalen Tonträger zum Alltag und werden intensiv genutzt. Unter denen, die Streamingdienste nutzen, ist derzeit allerdings nur etwa jeder Fünfte mit dem Stand der Dinge zufrieden. Dort besteht auf jeden Fall noch Optimierungsbedarf von Seiten der Musikindustrie. Das gelbe Label geht in dieser Hinsicht mit seiner Aufgeschlossenheit für neue Wege mit der Zeit.
Das vielleicht wichtigste, überraschendste und positivste Ergebnis der Studie besagt, dass in der Zielgruppe der jüngeren Klassikfreunde tatsächlich ein überraschend großes Potenzial an aktiven Hörern steckt. Der Anteil unter den jungen Erwachsenen, der diese Musik mag, ist keineswegs geschrumpft, sondern eher gewachsen. In der Klassikszene sollte man nun entsprechend darauf reagieren und Musikzusammenhänge schaffen, die den verschiedenen musikalischen Ausdrucksformen im Konzertbetrieb und in der digitalen Welt über Kultur- und Genregrenzen hinweg originelle und inspirierende Gestaltungsräume gibt.

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