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Pionier der Ballettmusik – Zum 90. Geburtstag von Richard Bonynge

Richard Bonynge - Complete Ballet Collection
© Decca
03.12.2020
Die Ballettmusik, wie wir sie heute verstehen, entstand in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Seinerzeit und bis ins 19. Jahrhundert hinein, galt es als Bestandteil der Oper, die durch Tanzeinlagen, seinerzeit noch stark am Gesellschaftstanz orientiert, aufgelockert wurde. Bei der französischen Oper im 17. und 18. Jahrhundert, etwa von Jean-Baptiste Lully, Jean-Philippe Rameau, Christoph Willibald Gluck, Antonio Salieri, Giacomo Meyerbeer lag das Schwergewicht auf dem Ballett, aber auch Mozart hat einige Musik für den Bühnentanz geschrieben. Erst im 19. Jahrhundert entstand eine selbstständige Ballettmusik, der jeweils ein literarisches Ballett-Libretto zu Grunde liegt. Zu den ältesten klassischen Ballettmusiken gehören “Giselle” (1841) von Adolphe Adam und “Coppélia” (1870) von Léo Delibes.
Wenn es unter den Dirigenten des 20. und 21. Jahrhundert einen gibt, dessen Name untrennbar mit diesem so besonderen Genres der “Ballettmusik” aufs engste verbunden ist, dann ist es der des 1930 in Sydney geborenen Richard Bonynge. Er war gerade fünf Jahre alt, als er mit dem Klavierspiel begann. Am NSW-Conservatorium of Music in Sidney, wo er zunächst Klavier studierte, lernte Bonynge auch seine spätere Ehefrau Joan Sutherland kennen. Sein Debüt als Dirigent erfolgte im Jahr 1962, als er bei einem Konzert Joan Sutherlands für den plötzlich erkrankten Dirigenten einspringen musste. Erste große gemeinsame Erfolge brachte im Jahr 1965 eine Australientournee, für die, auf Empfehlung Bonynges, ein damals noch weitgehend unbekannter Tenor als Partner von Joan Sutherland engagiert wurde: Luciano Pavarotti. Ab Mitte der 1960er arbeiteten sie dann bei Konzerten, Opernaufführungen und Schallplattenaufnahmen regelmäßig zusammen. Inzwischen bei der DECCA unter Vertrag, entstanden unzählige Aufnahmen mit seiner Frau Joan Sutherland, bei denen Bonynge am Pult stand.

Appetit auf Neues und Unbekanntes

Der legendäre DECCA-Plattenproduzent John Culshaw schrieb über Richard Bonynge: “Sein Wissen über die Stimme und die Gesangsliteratur des neunzehnten Jahrhunderts war, gelinde gesagt, umfassend. Und sein Appetit, dieses Wissen zu erhöhen, war unersättlich. Kein Werk war zu undurchsichtig, um seine Untersuchung zu vermeiden”. So spiegelt sich Richard Bonynges überbordendes musikalische Interesse denn auch in seiner DECCA-Diskografie auf besondere Weise wider – kein anderer Dirigent kann auf ein so umfangreiches Oeuvre an Ballettmusik verweisen. Aus Anlass seines 90. Geburtstags in diesem Jahr veröffentlicht DECCA eine opulent ausgestattete Edition “Richard Bonynge – Complete Ballet Recordings”. Zusammengestellt wurde die 45 CDs umfassende Box von Cyrus Meher-Homji, einem langjährigen Freund Richard Bonynges, der dabei Bemerkenswertes aus den Archiven zutage förderte.
Adolphe Adams “Giselle” (1841) etwa nahm Bonynge gleich zweimal auf: 1967 mit dem Orchestre National de l’Opéra de Monte-Carlo, 1986 das zweite mit der Nationalphilharmonie. Für beide Aufnahmen verwendete Bonynge die ursprünglichen Orchestrierungen und machte die im Laufe der Jahre vorgenommenen Streichungen rückgängig.
Außerdem kommen zu Unrecht vergessene und vernachlässigte Werke in dieser Box zur Geltung. Etwa Friedrich Burgmüllers seinerzeit außerordentlich beliebtes, romantisches Ballett “La Péri” (1843). Es wurde für die Primaballerina Carlotta Grisi nach dem Erfolg von “Giselle” an der Opéra de Paris geschaffen. Der Name Burgmüllers ist heute vor allem wegen zweier Nummern in Erinnerung, die er für Giselle komponiert hatte. Richard Bonynge aber schrieb: “Bizet und Tschaikowsky waren mit der Partitur von ‘La Péri’ vertraut, die zu ihrer Zeit ein so berühmtes Stück war; es wäre mir eine Schande, dass sie ganz verschwindet.” Auch "Le Corsair" (1856) von Adolphe Adam verlieh Richard Bonynge mit seiner Aufnahme von 1990 mit dem English Chamber Orchestra zu neuem Glanz. Es war die erste Gesamtaufnahme des Balletts überhaupt.
Leo Delibes Ballett “Coppélia” wurde 1870 als erstes Puppenballett in Paris uraufgeführt. Seine musikalische Charakterisierung der “Coppélia”, einer zum Leben erweckten Puppe, rief damals Entzücken hervor. In Richard Bonynges 1970 entstandener Aufnahme dieser Musik offenbart sich neben ihrem Reichtum an Ideen, Motiven, Tänzen auch die ungeheure Klangkultur jener Aufnahmen aus den DECCA-Studios, die nicht zuletzt auch auf dem Wirken des großen DECCA-Produzenten John Culshaw begründet ist.

Mehr als Ballettmusik

Die Box dokumentiert aber nicht nur das schier unglaubliche Ballett-Vermächtnis, das Richard Bonynge hinterlässt. Bemerkenswert sind auch Aufnahmen selten gespielter Ballettmusik und Tanzsequenzen aus der Welt der Oper, etwa von Donizetti, Gounod, Rossini, Saint-Saëns, Verdi und Berlioz. Zudem enthält sie auch Musik, die im Umfeld dieses Repertoires entstand. So etwa die 1972 entstandene Produktion des ersten Cellokonzerts von Daniel Francois Auber mit dem Cellisten Jascha Silberstein. Auber, der sich ja, wie diese Edition beeindruckend zeigt, vor allem als Ballettkomponist einen Namen machte, hatte insgesamt vier Cellokonzerte komponiert, die er sämtlich dem Cellisten Jacques-Michel Hurel de Lamare widmete. Hörenswert sind auch Bonynges “Ballett-Recitals”, zu denen besondere Höhepunkte wie die “Méditation” von Thaïs mit dem jungen Nigel Kennedy als Sologeiger zählen.
Das britische Musikmagazin Gramophone schrieb einmal: “Richard Bonynges Fähigkeit, Decca davon zu überzeugen, ausgefallene französische Bühnenwerke des 19. Jahrhunderts aufzunehmen, war in den letzten 40 Jahren zu unserem wiederholten Vorteil.” Die jetzt veröffentlichte Box bestätigt das aufs Feinste.

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