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KlassikAkzente Jahresrückblick: die besten Klassik Alben 2022

John Williams
© Stephan Rabold
21.12.2022
“Kinder, was für ein Jahr!”, möchte man angesichts der Situation in der Welt ausrufen. Die zurückliegenden fast 12 Monate hatten es in sich und haben uns alle emotional und physisch mitgenommen. Die Corona-Pandemie noch nicht vorbei, dafür aber der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, und die damit einhergehenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verwerfungen haben uns alle in Atem gehalten und tun es noch. Wir alle versuchen deshalb, mit dem, was uns zu Gebote steht und was wir am besten können, diesem realen Irrsinn entgegenzutreten. In unserem Falle ist das die Musik, auf deren emotionale Wirkung wir hoffen und setzen – mehr als je zuvor. 
Und Anlass zu musikalischen Freuden gab es auch 2022 zuhauf. Fangen wir mit zwei Jubilaren an, die nicht nur auf ein erfülltes Musikerleben zurückblicken können, sondern dieses auch auf dem Gelblabel geteilt haben: die Rede ist von dem amerikanischen Filmmusik-Komponisten John Williams und dem kosmopolitischen Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim.
Als die 90-jährige amerikanische Filmmusik-Legende im Januar 2020 erstmals ans Pult der Wiener Philharmoniker trat, ahnte kaum jemand, dass dies für den Komponisten wie für das Orchester die Erfüllung eines lang gehegten Traumes bedeutete. Der überwältigende Erfolg gab beiden Recht und dass Williams den Wiener Erfolg mit seinem Konzert “The Berlin Konzert” am Pult der Berliner Philharmoniker noch übertreffen würde, war wohl selbst dem Jubilar ein wenig unheimlich. Die Deutsche Grammophon schätzt sich glücklich, beide Konzerte mitgeschnitten und in audiovisueller Vielfalt veröffentlicht zu haben und damit am 11. Februar erstmals auf den ersten Platz der deutschen Albumcharts geklettert zu sein! Und weil aller guten Dinge drei sind, gab es zum eigentlichen Geburtstag des Meisters noch ein ganz besonderes Geschenk von seiner erklärten Lieblings-Geigerin Anne-Sophie Mutter, die gemeinsam mit Williams am Pult sein zweites, ihr gewidmetes Violinkonzert aus der Taufe und auf das Geburtstagsalbum hob.
Ein wenig anders, aber dennoch in vielem ähnlich: Daniel Barenboim zum 80. Geburtstag. Mit einem Reigen an Jubiläumsalben startete das Gelblabel die Geburtstagscour des Maestros, darunter einer Sammlung von Barenboims selbst ausgesuchter pianistischer “Encores” und der Gesamtaufnahme der Schumann-Symphonien mit der Staatskapelle Berlin. Vielleicht hat der Erfolg beider Aufnahmen ja dazu beigetragen, dass der Mitte des Jahres schwer erkrankte Maestro mittlerweile wieder guter Dinge ist und sogar sein Dirigat der Silvester- und Neujahrskonzerte in Berlin mit Beethovens neunter Symphonie angekündigt hat. Bravo, Maestro!
Überhaupt war dieses Jahr 2022 im Rückblick ein Treffen guter alter Bekannter und aufstrebender junger Musikerinnen und Musiker der unterschiedlichsten Provenienz. Mit Hilary Hahn kehrte eine der besten und kreativsten Geigerinnen der Welt auf das Gelblabel zurück und präsentierte unter dem Titel “Eclipse” ein Programm mit Musik von Dvořák, Sarasate und Ginastera. Die Amerikanerin hat nichts von ihrem Schwung, ihrer perfekten Tongebung und ihrem makellosen Ton verloren. Obwohl sie zugegeben hat, unter der erzwungenen Isolation durch die COVID 19-Pandemie nicht nur extrem gelitten, sondern sich auch künstlerisch mehr als je zuvor eingeengt gefühlt zu haben. Nichts davon ist auf diesem Album zu hören, im Gegenteil. Und wer einmal Hilary Hahn ganz entspannt im Bild erleben möchte, dem sei, ein sehr seltener Glücksfall!, die Photostrecke im SZ-Magazin “Sagen Sie jetzt nichts!” vom 27.Oktober empfohlen: So hat man Hilary Hahn selten gesehen, wenn überhaupt!
Mit Superstar Lang Lang und dem Isländer Vikingur Òlafsson haben sich zwei Giganten der schwarz-weißen Tasten zurückgemeldet, der eine mit verschmitztem Lächeln, der andere mit einer sehr persönlichen Hommage. Während sich Lang Lang nach der kontemplativen Ernsthaftigkeit der Goldbergvariationen in diesem Jahr einer Kindheitserinnerung verschrieben hatte und mit “The Disney Book” die Hits aus der berühmtesten Cartoon-Fabrik der Welt mit leichter Hand und viel musikalischem Witz präsentierte, spannte Vikingur Ólafsson einen Bogen über mehr als 300 Jahre Musikgeschichte, von Johann Sebastian Bach bis zu dem Widmungsträger seines neuen Albums “From Afar”, dem ungarischen Komponisten György Kurtág. Innovativ wie immer, erschafft Víkingur zwei musikalische Klangwelten, die ein großes Publikum ansprechen. Inspiriert von einer Begegnung mit dem ikonischen ungarischen Komponisten Kurtág entwickelt Òlafsson hier wunderschön beschwörende Titel und vergessene Melodien rund um die Themen Natur, Heimat, Kindheit, Familie. Und der Clou an der Sache: Eingespielt wurden die Werke sowohl auf dem Flügel als auch auf dem Klavier.
Mit dem amerikanischen Tenor chilenischer Abstammung, Jonathan Tetelman veröffentlichte 2022 ein strahlender Tenor sein Debütalbum als Deutsche Grammophon-Exklusivkünstler, dem eine großen Zukunft vorausgesagt wird und der dieses Versprechen mit seinem Album “Arias” aufs Nachdrücklichste einlöste. Das Publikum liegt ihm zu Füßen, die Presse ist voll des Lobes und zusammenfassend kann man am besten in den Jubel der New York Times zu diesem Album einstimmen: “A total star!” Man darf gespannt auf das nächste Album dieses Ausnahmesängers sein, dem die Natur scheint es alles mitgegeben hat: Stimme, Charisma, Aussehen und Intelligenz.
Dass die Deutsche Grammophon auch auf dem Gebiet der innovativen neuen Klassik-Strömungen ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hat, zeigte anno 2022 zum einen der Komponist Max Richter, der seinen überwältigenden Erfolg mit “Recomposed by Max Richter – Vivaldi, The Four Seasons” von 2012, einem wie DIE ZEIT schrieb, “Vivaldi für das 21. Jahrhundert!”, die Vier Jahreszeiten nun in einer neuen Aufnahme gemeinsam mit den Musikern des Chineke! Orchestra und der Geigerin Elena Urioste auf CD und Vinyl bannte. Diese neue Version “The New Four Seasons: Vivaldi Recomposed” wird auf originalen Streichinstrumenten aus Vivaldis Zeit gespielt und der “Stradivari unter den Synthesizern” – einem frühen Moog aus den 70er-Jahren. Zum anderen veröffentlichte der Stargeiger, Grenzgänger und Publikumsliebling David Garrett sein neues Album “ICONIC”. Garrett zollt hier den großen Geigern des Goldenen Zeitalters Tribut – Legenden des 20. Jahrhunderts wie Heifetz, Kreisler und Menuhin. Eigens für Violine, Gitarre und Orchester arrangiert, erhalten diese Stücke eine neue, einzigartige und intime Note. Der Künstler selbst beschreibt sein Album mit den Worten: “Ich habe selbst schon viele virtuose Alben aufgenommen, aber diesmal wollte ich mich aufs Wesentliche konzentrieren, auf das, was zu Herzen geht.”
Last but not least: mit einem großartigen Überraschungserfolg und einer legendären Sammlung konnte der Katalog des Gelblabels zwei herausragende Erfolge erzielen. Das ist zum einen die tieftraurige Geschichte des Komponisten Hans Rott, dem in seinem kurzen, schweren Leben nur wenig zu komponieren vergönnt war, darunter eine Symphonie, die von der Welt aufgrund ihrer Wagner-Nähe verlacht wurde und dennoch in ihrer Modernität und Extravaganz deutlich hörbar auf spätere Meister wie Schönberg und Mahler verweist. Dieser schrieb über Rott: “Was die Musik an ihm verloren hat, ist gar nicht zu ermessen; zu solchem Fluge erhebt sich sein Genius schon in dieser Ersten Symphonie, die er als zwanzigjähriger Jüngling schrieb und die ihn – es ist nicht zu viel gesagt – zum Begründer der neuen Symphonie macht, wie ich sie verstehe.”
Zum anderen wurde der große Liedersänger Dietrich Fischer-Dieskau mit einer umfangreichen, liebevoll gestalteten und mit zahlreichen musikalischen Trouvailles gespickten Edition geehrt, die Eingang in nahezu alle Empfehlungen der deutschen Medienlandschaft gefunden hat und die zu würdigen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine ganze Feuilleton-Seite wert war!
So können wir am Ende dieses verflixten schwierigen Jahres mit Fug und Recht von uns behaupten, das in unserer Macht Stehende getan zu haben, um aus einem veritablen annus horribilis, in welchem auch die Stichwortgeberin dieses geflügelten Wortes, Königin Elisabeth II. von England, von der Bühne der Welt abtrat, ein Jahr der Hoffnung, der Zuversicht und der musikalischen Freude gemacht zu haben. In diesem Sinne wünschen wir Frohe Weihnachten und ein friedliches Neues Jahr 2023!

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