Herbert von Karajan | News | "Die Überwindung der Trägheit" – Karajans Beethoven

“Die Überwindung der Trägheit” – Karajans Beethoven

Herbert von Karajan
© Siegfried Lauterwasser / DG
21.06.2022
1957 unterzeichnete Herbert von Karajan seinen ersten Nachkriegs-Vertrag mit der Deutschen Grammophon – zwei Jahre zuvor hatte ihn die Berliner Philharmoniker zu ihrem Chefdirigenten gewählt. Im selben Jahr begann er an einer Neuauflage des Orchesters nach seinen Vorstellungen zu arbeiten und dabei eines seiner damals wichtigsten Vorhaben zu realisieren: den ersten vollständigen Beethoven-Zyklus dieses Orchesters aufzunehmen. Die Arbeit daran begann im Dezember 1961 und endete im November 1962 mit der Aufnahme der 9. Sinfonie. Insgesamt viermal nahm Karajan den Beethoven-Zyklus für die Deutsche Grammophon auf, jener aber, der 1961/62 entstand und 1963 veröffentlicht wurde, galt schon immer als der beste.

Künstlerisch der radikalste Zyklus

Und in der Geschichte der Deutschen Grammophon war er tatsächlich ein Meilenstein. Nie zuvor waren hier alle neun Beethoven- Sinfonien auf einmal aufgenommen und als eine als geplantes Abonnement veröffentlicht worden, zudem in einer hochwertigen Ausstattung. Und natürlich war es nicht nur dieser Aspekt, der die Bedeutung dieses Zyklus ausmachte und bei Presse und Publikum gleichermaßen Begeisterung hervorrief. Er war nicht nur der finanziell gewagteste, künstlerisch radikalste und kommerziell erfolgreichste. Es war vor allem die hervorragende Qualität des Musizierens, die ihn so besonders machte. Karajans Arbeit am Klang des Orchesters trug bereits Früchte. Unmittelbar nach seinem Antritt als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker nahm er die Fünfte und die Siebte Sinfonie in sein Programm auf und hatte danach mit Ausnahme der zweiten und der achten Sinfonien alle anderen bereits mit den Berliner Philharmonikern aufgeführt. Das bedeutet, dass zum Beginn der Aufnahmen im Dezember 1961 das Orchester mit Karajans Lesart der Beethoven-Sinfonien bestens vertraut war. Ebenso mit Karajans enormem Qualitätsanspruch, gerade und vor allem bei den Schallplattenaufnahmen. Diese, so schrieb er einmal rückblickend, hätten unerbittlich hohe Maßstäbe gesetzt, wer das ignoriere, könne nicht Schritt halten. “Die Überwindung der Trägheit und die Freude über eine dazu notwendige Anstrengung haben stets die Intuition des Geistes beflügelt”. Das hört man den Aufnahmen an, besonders auch jener der neunten Sinfonie, für die das Solistenaufgebot mit Gundula Janowitz, Hilde Rössel-Majan, Waldemar Kmentt und Walter Berry gar nicht besser sein konnte. Extra für diese Aufnahme hatte Karajan zudem den Wiener Singverein in die Berliner Jesus-Christus-Kirche geholt.
Übrigens vermittelt das der Box beiliegende 44seitige Booklet einen sehr lebendigen Eindruck von der damaligen Aufbruchstimmung bei den Aufnahmen. So enthält es u.a  die Original-Aufnahmepläne, Fotos aus dem Aufnahmestudio und die Kopie eines Briefes von Karajan an Elsa Schiller, die damalige Leiterin A&R von DG, sowie eine Fotosequenz des berühmten Coverbildes, das in den einzelnen LP-Veröffentlichungen verwendet wurde.

Karajans Geheimnis

Besonders bei der Probenarbeit zeigte sich, wie Herbert von Karajan daran arbeitete, seinen hohen Anspruch umzusetzen. Die der Box beiliegende BluRay-Audio-CD mit den komplett auf 24bit remasterten Aufnahmen gibt den Enthusiasten und besonders Interessierten Gelegenheit, auch den Proben zur Neunten Sinfonie folgen zu können. Nicht nur die Detailgenauigkeit und umfassende Werkkenntnis des Dirigenten zeichneten diese aus, sondern auch die Fähigkeit Karajans, mit nüchternen, praktischen Anweisungen die Umsetzung seiner Vorstellungen zu erreichen. Seinen Schülern pflegte er zu sagen: “Ich kann Ihnen nicht beibringen, wie man dirigiert, aber ich kann Ihnen zeigen, wie man die Probenarbeit so gestaltet, dass man beim Konzert selbst kaum noch zu dirigieren braucht.”

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