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Heiß ersehnt – Das neue Album von Max Richter

Max Richter
© Yulia Mahr
25.01.2017
Max Richter ist einer der kühnsten Grenzgänger. Er wandelt beinahe blind auf dem schmalen Grat zwischen klassischer und elektronischer Musik. Als ob es das Selbstverständlichste von der Welt sei, verbindet er Klangsprachen, die sich höchst unterschiedlichen Musikstilen verdanken. Sein Geheimnis: Er trifft den Ton unserer Zeit. Ohne sich anzubiedern, schmiegt er sich dem urbanen, dem modernen Lebensgefühl des Menschen an. Dabei spürt er ein wachsendes Bedürfnis nach Romantik.
Es gibt diese moderne Sehnsucht nach Einkehr, nach träumerischer Stille. Einfache Melodien sind nicht passé. Eine reduzierte Klangpoesie, die elementare Erfahrungen des Menschen zum Ausdruck bringt, berührt uns. Bei Max Richter treten seelische Regungen zutage. Man hört seiner Musik an, ob sie träumt oder wach ist, ob sie Gefühle der Freude oder des Schmerzes verströmt. Seine gedehnten Ambientsounds beschränken sich nicht auf das sphärische Rauschen der Zeit. Sie zielen auf das Gefühlsleben des Menschen.

Ergreifendes Stilelement: Die Stimme von Virginia Woolf

Mit seinem neuen Album beweist Max Richter eindrucksvoll, wie nahe seine Musik an fundamentale Emotionen des Menschen heranrückt. “Three Worlds: music from Woolf Works” spürt dem Erzählwerk der britischen Schriftstellerin Virginia Woolf nach. Das Album vereint Musik, die der Avantgarde-Komponist zu Wayne McGregors gefeierter Ballett-Produktion Woolf Works am Royal Opera House London beigesteuert hat. Max Richter lässt die Dichterin selbst zu Wort kommen.
Er ist bei den Recherchen zu dem Projekt auf eine uralte Aufnahme von Virginia Woolf gestoßen. “Es ist die einzige Aufnahme, die überlebt hat”, so der Komponist euphorisch, und sie funktioniert wie eine “Zeitmaschine, die uns erlaubt, Woolfs Stimme und ihren wunderbaren Gebrauch von Sprache zu vernehmen”. Gleich zu Beginn des Albums hört man Virginia Woolf lesen und lauscht ergriffen der rhythmischen Poesie ihrer Rede. Max Richter unterlegt die Lektüre der Dichterin mit dem Glockenspiel von Big Ben und Straßengeräuschen von London.

Hereinbrechende Wellen: Liebe und Abschied

Wie selbstverständlich finden diese drei Elemente zueinander: Die Stimme der Dichterin schmiegt sich dem Glockenschlag von Big Ben und der Straßenatmosphäre natürlich an. Max Richter bringt hier Klangelemente zusammen, die von sich aus zueinanderpassen. Der Beginn des Albums wirkt dabei wie ein Intro. Der Takt ist nun angeschlagen, und es folgt mit “In the garden” eine ergreifende, romantisch-verträumte Geigenmelodie, die sich sanft über eine diskrete Klavierbegleitung legt.
Noch immer klingt einem dabei die Stimme von Virginia Woolf in den Ohren. Es scheint, als ob Max Richter aus ihr die gesamte Ballettmusik entwickelt hat. Dabei kompiliert er in bekannter Manier solistische und orchestrale Episoden, elektronische Texturen und Musik für Sopran ohne Worte. In “Entropy” klingt das eher sphärisch, während “War Anthem” einen elegischen Orchesterton anschlägt, der in seiner filmisch-epischen Großzügigkeit beeindruckt.
Ans Eingemachte geht Max Richter mit “Tuesday”. Hier liest Gillian Anderson, vielen bekannt aus der Fernsehserie Akte X, den ergreifenden Abschiedsbrief von Virginia Woolf an ihren Ehemann vor. Dazu hört man den Klang hereinbrechender Wellen. Sofort fühlt man sich gehalten, über das eigene Leben nachzudenken, wie überhaupt das ganze neue Album von Max Richter eine großartige Einladung ist, die Zeit anzuhalten und sich nicht mehr von nebensächlichen Dingen ablenken zu lassen. Bei Virginia Woolf geht es ums Ganze: um Liebe und Leidenschaft, um Treue und Abschied.   

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