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Hildur Guðnadóttir – Klangforscherin jenseits der Grenzen

Hildur Guðnadóttir
© Antje Taiga Jandrig
23.01.2020
Die Musik von Hildur Guðnadóttir ist aufregend und außergewöhnlich, klangsinnlich, packend und von suggestiver Kraft. Vor allem aber entzieht sie sich konsequent jeglicher stilistischen Eingrenzung und entfaltet in dieser Vielgestaltigkeit und Kreativität eine unmittelbar berührende Wirkung auf den Hörer. Vor wenigen Tagen erst wurde bekannt gegeben, dass die isländische Musikerin unter den Nominierten für die 92. Oscar-Auszeichnung ist und Chancen darauf hat, mit ihrer Musik zum Film “Joker” den begehrten Academy Award in der Kategorie “Best Original Score” zu erhalten.

Von Reykjavik nach Berlin – als Cellistin, Sängerin und Komponistin

Hildur Guðnadóttir wurde 1982 in Reykjavik geboren und war schon in ihrer Kindheit von Musik umgeben. Mit fünf Jahren begann sie Cello zu spielen und studierte nach Abschluss der Schule an der Musikakademie in Reykjavik und der Kunstakademie Island. Ihr weiterer Weg führte sie schließlich nach Berlin, wo sie an der Universität der Künste ihr Studium abschloss und bis heute lebt. Dabei ist die Wahlberlinerin längst international erfolgreich und beweist als Cellistin, Sängerin und Komponistin ein wahres Multitalent. Als ausübende Musikerin ist Guðnadóttir bei verschiedensten Live-Darbietungen zu erleben. So stand sie unter anderem mit der US-amerikanischen Drone-Doom-Band Sunn O))) beim Convergence-Festival 2017 im Barbican Centre in London auf der Bühne und wirkte als Sängerin und Cellistin beim Festival Organ Reframed 2018 in der Londoner Union Chapel mit. Als Komponistin hat sich die isländische Künstlerin insbesondere mit ihren Filmmusiken einen Namen gemacht und wurde für ihre eindringlichen und kunstvollen Schöpfungen bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Den Klang der Welt verdichten – Guðnadóttirs einzigartige Soundtracks

Ebenso vielfältig wie ihre Engagements als Musikerin sind auch Guðnadóttirs eigene Kompositionen und so eröffnet jedes einzelne Werk einen neuen Kosmos an Klängen und Emotionen. Beispielhaft für das Schaffen der isländischen Tondichterin ist ihr Soundtrack zur Serie “Chernobyl”, in dem sie sich direkt und klanggewaltig mit dem Grauen eines Reaktorunfalls auseinandersetzt. Hierzu hat Guðnadóttir Klänge in einem abgeschalteten Atomkraftwerk in Litauen gesammelt und diese verschiedenen akustischen Eindrücke einer klingenden Collage gleich in ihrer Komposition miteinander verwoben. Das Ergebnis ist eine radikale Verdichtung realer Klangsplitter und ein ebenso beklemmendes wie assoziationsreiches Gesamtkunstwerk. Ähnlich eindrücklich und gleichzeitig ganz anders in seiner Tonsprache ist der Soundtrack zum Film “Joker”, in dessen Mittelpunkt eine Improvisation Guðnadóttirs am Cello steht. Die daraus erwachsende Filmmusik hat letztlich sogar den Dreh geprägt, wurde sie doch von der Komponistin nur auf Grundlage des Skripts geschaffen und später während der Dreharbeiten eingespielt.
Wenngleich sich mittlerweile verschiedene Komponistinnen international etablieren konnten, zählt Guðnadóttir als Frau nach wie vor zur Minderheit in ihrem Metier. Bereits zu Beginn des Jahres schrieb sie Geschichte, als sie als erste weibliche Solo-Preisträgerin den Golden Globe für die beste Filmmusik entgegennehmen durfte. Sollte Guðnadóttir im Februar nun tatsächlich den Oscar erhalten, wäre sie die vierte Frau seit Gründung der Academy und erste weibliche Komponistin seit über 20 Jahren, die diese Kategorie für sich entscheidet. Es wäre der nächste logische Schritt in der Karriere der facettenreichen Künstlerin und ein Meilenstein in der Geschichte der Oscars.

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