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Das pralle Leben

17.01.2007
Wer bis dato der Meinung war, man könne Barockopern nicht süffig inszenieren, der konnte sich Ende der siebziger Jahre vom Züricher Opernhaus eines anderen belehren lassen. Denn was das Team von Jean-Pierre Ponnelle und Nikolaus Harnoncourt zusammen mit dem Monteverdi-Ensemble und den Solisten des Hauses an Aufführungen auf die Beine stellte, war das pralle Theaterleben auf der Bühne, burlesk und voller phantastischer Bilder, ohne dabei in den Bereich der Effekte oder Plattitüden abzurutschen. Es waren Inszenierungen wie “Il Ritorno d’Ulisse in Patria”, die die klassische Musikwelt derart faszinierten, dass das Ensemble damit auf Tourneen gehen musste, um alle Interessenten zu erreichen. Nun sind diese Marksteine der Aufführungsgeschichte, die Ende des damaligen Jahrzehnts von der Unitel gefilmt wurden, in einer Sonderedition auf DVD erhältlich.
“Il Ritorno d’Ulisse in Patria” war Claudio Monteverdis vorletzte Oper. Als er sie 1641 schrieb, hatte er das für die Lebensverhältnisse seiner Epoche biblischen Alter von über 70 Jahren erreicht und darüber hinaus mit dem “L’Orfeo” die Revolution der Musikbühne eingeleitet. Aus seiner persönlichen Unzufriedenheit mit den Darstellungsmöglichkeiten des Singspiels, das ihm als zu starr und musikalisch fixiert vorgekommen war, hatte er mit seinem theatralisch und klangdramaturgisch durchdachten Versuchsballon einen Boom der neuen Form initiiert, dem er selbst ab und an ein neues Kapitel hinzufügte. “Il Ritorno d’Ulisse in Patria” nun war ein Oper-Epos, das auf einen wohlbekannten, wenn auch im Detail durchaus speziellen Sagenstoff der Antike zurückgriff, den Monteverdi mit einigen konzeptuellen Schmankerln versah. “Er schrieb sie in der neuesten musikalischen Sprache und mit der Pranke des Großen”, meinte dazu der Dirigent der Aufführung Nikolaus Harnoncourt und präzisierte, dass die Stärke des Komponisten “die völlige Einheit von Musik und Text in einer eigenen Sprache, eben der des Musikdramas” darstellte.
 
Das wiederum bedeutete klare programmatische Vorgaben. Der Text musste verständlich artikuliert werden können, die Linienführung der Arien und die Transparenz der Orchestrierung sollten dieser Idee Rechnung tragen. Außerdem mussten die Klangfarben und Stimmungen der Handlung angepasst werden, um keine Irritationen des Verständnisses zu provozieren. Das wiederum hatte Folgen bis in die Zusammensetzung des Ensembles. Noch einmal Harnoncourt: “Mit der Instrumentierung ist bereits eine Charakterisierung der Situation verbunden, und das greift sehr stark in die Inszenierung ein. Ich könnte nicht die gleiche Instrumentierung für eine andere Inszenierung verwenden”. Das wiederum bedeutete für die Umsetzung fast dreieinhalb Jahrhunderte später, dass Harnoncourt und der Regisseur der Aufführung Jean-Pierre Ponnelle eng zusammenarbeiten mussten.

Tatsächlich griffen Szene und Musik eng ineinander, die Schauspieler stiegen in den Orchestergraben hinab oder Musiker standen mit einem Mal auf der Bühne. Realität und Fiktion gingen ineinander über, ähnlich wie in den Kunstwerken vom Manierismus bis zum hohen Barock gerne die Ebenen von Kunst und Wirklichkeit, Leben und Tod ineinander verwoben wurden (man denke etwa an Fresken, die das Gemalte ins Plastische übergingen ließen oder die Mementi Mori, die die jugendliche Schönheit neben den Knochenmann stellten). Ponnelle und sein Kostümdesigner Pet Halmen machten aus der Mythenwelt ein wildromantisches Arkadien mit antiken Anspielungen ebenso wie Querverweisen auf die Ästhetik eines Fellini. Bevölkert wurden diese Räume von behutsam bis deutlich überzeichneten Charakteren von der elfenhaften Penelope (Trudeliese Schmidt) über den wagnerhaft soliden Ulisse (Werner Hollweg) bis hin zur fantasyähnlichen Gestalt des Neptun (Hans Franzen). Gepackt in ein sorgsam differenziertes Klangbild im Stil des Frühbarocks einschließlich der originalen (und originellen) Instrumente, entstand eine packende Aufführung, die durch die hervorragende Bild- und Tonqualität des Mediums DVD noch an Präsenz gewinnt.

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