Yundi Li (*1982) war neun, als er beschloss, Pianist zu werden. Zwei Jahre zuvor hatte er damit begonnen, sich ernsthaft mit dem Instrument auseinander zu setzen, nachdem ihm im Kindergarten zunächst das Akkordeon nahegelegt worden war. Es war eine gute Zeit für Hohe Kunst, denn die politische Führung in Peking war daran interessiert, nach dem Massaker am Platz des Himmlischen Friedens nach außen der Welt gegenüber wieder als Kulturnation zu erscheinen. Der Junge aus Tschungking wurde gefördert, ging bei Dan Zhao Yi in die Lehre, einem der angesehensten Pädagogen seiner Heimat. Er brachte mehrere Wettbewerbe im eigenen Land erfolgreich hinter sich, stieß damit aber bald an Grenzen der Interpretation, die mit technischer Perfektion nicht zu überwinden waren. In einem Alter, in dem seine Spielkameraden gerade erst dem Bolzplatz entwuchsen, machte er sich daher bereits über große Lehrer der Zunft Gedanken und versuchte als Gymnasiast der Musikhochschule in Sichuan von deren Erfahrungen zu profitieren.
Als er das Gefühl hatte, neue Impulse für seine Laufbahn zu brauchen, ging Li in die USA und machte sich dort in einschlägigen Kreisen schnell einen Namen. Er gewann 1995 dieT Stravinsky International Youth Competition in Champaign, Illinois, 1998 dann die Missouri Southern International Youth Piano Competition in Joplin, Missouri. Fasziniert von der Vielfalt des pädagogischen Angebots entwickelte er konsequent seine Stilvorstellungen. Er wolle ein neuer Krystian Zimerman werde, äußerte er in einem Interview, im Wissen darum, dass ihn sein großes Vorbild am Klavier bereits mit der Begründung abgelehnt hatte, dass er ihm kaum noch etwas beizubringen habe. 1999 ging Li daraufhin als Sieger der Liszt International Youth Piano Competition im holländischen Utrecht und der China International Youth Piano Competition in Peking hervor.
Der eigentliche Durchbruch aber kam anno 2000 in Warschau. Yundi Li schaffte es nicht nur, als einer der jüngsten Preisträger in der Geschichte des internationalen Chopin-Wettbewerbs in der Tradition berühmter Vorgänger wie Maurizio Pollini und Martha Argerich die Jury von seiner kraftvollen und energischen Spieltechnik zu überzeugen. Er bekam außerdem einen Sonderpreis für die am besten interpretierte Polonaise und konnte auf diese Weise den Kritikern, die dem 18jährigen noch keine inhaltliche Tiefe zutrauten, das fachmännische Urteil der gestrengen Juroren entgegenhalten. Und er hatte quasi über Nacht seinen Platz in der internationalen Klavierwelt eingenommen. Im April des folgenden Jahres unterschrieb er einen Exklusivvertrag mit der Deutschen Grammophon und hat seitdem mit mehreren spektakulären Alben Publikum und Kritik begeistert. Seinen Einstand gab er mit einem Querschnitt durch das Chopin-Repertoire (“Chopin”, 2002), dem ein Recital mit der h-moll Sonate, Etüden und Klavierstücken von Franz Liszt (“Liszt”, 2003) folgte. Da Li sich über die Einstudierung der Werke hinaus intensiv mit Theorie und Hintergründen der Interpretation beschäftigt und außerdem einen gut gefüllten Tourneekalender hat – in seiner Heimat erreicht die Li-Begeisterung vor allem junger Fans popmusikalische Dimensionen -, konzentriert er sich auf eine Veröffentlichung im Jahr und wandte sich mit den Scherzi und Impromptus 2004 wieder seinem Lieblingskomponisten Frédéric Chopin zu. Ein erstaunliches, Pollini-haft in die Tiefe gehendes Album, das noch auf viele weitere musikalische Highlights hoffen lässt.
6/2005