Yuja Wang | News | Rock 'n' Roll

Rock ‘n’ Roll

Yuja Wang in der Yellow Lounge, Mai 2011, Cookies Berlin © Bert Spangemacher
© Bert Spangemacher
13.05.2011
Ihre schmalen Augen sind fast immer geschlossen. Ihr so fragil wirkender Körper ist ganz Spannkraft und Elektrizität. Die kleinen, flirrenden, ruckartigen Bewegungen ihres Kopfes und ihrer Lippen geben präzise die hochkomplexen Polyrhythmen wieder, in denen Yuja Wang sich niemals verliert. Vor weit über 2.000 Menschen in der Berliner Philharmonie ist die erst 24-jährige chinesische Pianistin ganz allein mit sich und der Musik, eingetaucht in eine der menschlichen Wahrnehmung trotzende Materie, die sie vollkommen beherrscht.

Yuja Wang ist Klaviervirtuosin – aber nicht auf jene Art, die diese Bezeichung in Verruf gebracht hat. Sie reitet einige der wildesten Pferde der Klavierliteratur – wer sieht, wie ihr Körper mit dem Hocker, auf dem sie sitzt und dem majestätischen Steinway vor ihr umgeht, wird diese Analogie sofort verstehen. Yuja Wang spielt, mit der Saatskapelle Berlin, Prokofiews Klavierkonzert Nr. 3, ein packendes, muskulöses, vorwärts stürmendes Bravourstück, und anschließend als Zugabe die unfassbar schwere Toccata op. 11 desselben Komponisten, vier Minuten Musik, die sich nonstop an der Grenze des technisch Machbaren bewegen.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Da sitzt ein kleines Mädchen und zähmt den wildesten Zuchtbullen, den man sich vorstellen kann. Das stupende daran: Sie tut das mit vollkommener Souveränität, sie scheint selbst in den vertracktesten Passagen stets noch Zeitreserven zu haben. Die Stücke „gehören“ ihr, sie spielt sie mit jener Selbstverständlichkeit, mit der wir sprechen. Das, und ihr Talent, welches weit über die technischen Aspekte des Pianos hinausweist, geben ihr die Möglichkeit, nicht nur allein virtuos zu sein, nicht nur zirkusreife Schaustücke zu gestalten, sondern Musik. Kein bloßer „Tastendonner“ (obgleich Yuja Wang, wo es angebracht ist, eine eruptive Kraft zum Einsatz bringt, die, wer sie anschaut, einfach nicht glauben mag). Stattdessen: Präzise Klangschichtungen, ein unbestechliches Rhythmusgefühl, wunderbar einfühlsame lyrische Passagen sowie eine technische wie auch geschmackliche Kontrolle über Laut und Leise und die Übergänge vom einen zum anderen wie man sie nur ganz selten zu hören bekommt. Darüberhinaus nimmt sich Yuja Wang die Freiheit, mit dieser Virtuosenmusik ihren Spaß zu haben. Diese junge Frau tobt sich aus am Klavier wie es ihre Altersgenossen (und wahrscheinlich auch sie selbst) in langen Clubnächten tun. Ihr Spiel hat kontrollierte Exstase, aber auch etwas animalisch-wildes.

Für Yuja Wang sind Stücke wie Arcadi Volodos’ scheinbar die Gesetze der Physik verleugnende Transkription des Türkischen Marsches von Mozart ein Stück weit Rock ´n´ Roll – und ihre elektrisierende Herangehensweise überträgt diese Stimmung auf ihr Publikum. Am Mittwochabend war das in der randvollen Berliner Philharmonie zu erleben, am Abend darauf im Konzerthaus. Anschließend ist Yuja Wang quer über den Gendarmenmarkt gelaufen, um im Kultclub „Cookies“ noch im Rahmen der Berliner Klassik-Clubnacht Yellow Lounge zu spielen. Locker parlierend, mit demselben Spaß und mit genau derselben musikalischen Unbestechlichkeit hat sie diese für sie ganz neue Aufgabe gemeistert. Bravos und stürmischen Applaus hat sie überall gleichermaßen geerntet. Von Yuja Wang dürfen wir noch eine Menge großer Musik erwarten.

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