Yannick Nézet-Séguin | News | Die Macht der Liebe – Yannick Nézet-Séguin und das Philadelphia Orchestra mit Mahlers "Sinfonie der Tausend"

Die Macht der Liebe – Yannick Nézet-Séguin und das Philadelphia Orchestra mit Mahlers “Sinfonie der Tausend”

Yannick Nézet-Séguin
© George Etheredge
16.01.2020
Dieses Meisterwerk von Gustav Mahler markiert mit seiner enormen Wucht und gesanglichen Dichte einen Wendepunkt in der Geschichte der Sinfonie und gilt heute als ein kompositorischer Meilenstein. Die schier endlos sich fortsetzenden Gesänge des ungewöhnlichen Werkes kreisen um die Liebe: Der erste Teil basiert auf dem mittelalterlichen Pfingsthymnus “Veni, creator spiritus” und beleuchtet die Liebe aus spirituell-religiöser Perspektive, der zweite Teil hingegen ist eine Vertonung der Schlussszene von GoethesFaust”, in der Erleuchtung und Erlösung eng verbunden sind mit der Hinwendung zum “Ewig-Weiblichen”. Den berühmten Beinamen, “Sinfonie der Tausend”, verdankt die Achte ihrer üppigen Besetzung. Die Bezeichnung stammt allerdings nicht von Mahler selbst. Sie soll der Sinfonie noch am Abend der Münchener Uraufführung, die für den Komponisten einen der größten Erfolge seiner Laufbahn bedeutete, verliehen worden sein.

Denkwürdiges Konzert

Bei der Premiere im Jahre 1910 saß inmitten der zahlreich erschienenen Prominenz aus Politik und Kultur auch ein junger Dirigent im Publikum, der mit der achten Sinfonie noch von sich reden machen sollte. Leopold Stokowski sorgte sechs Jahre nach der Münchener Uraufführung für eine rasend schnelle Verbreitung der Sinfonie in den USA. An der US-Premiere mit dem Philadelphia Orchestra nahmen 1068 Musiker teil. Die im März und April 1916 stattfindenden Konzerte an der Academy of Music in Philadelphia und an der Metropolitan Opera in New York lösten Stürme der Begeisterung aus. Seither gilt das Philadelphia Orchestra als eine Institution für Mahlers Achte, seine Interpretationen des Meisterwerks als magisch.  
Yannick Nézet-Séguin, seit 2012 Musikdirektor des Philadelphia Orchestra, knüpfte an diese große Tradition an, als er Mahlers Sinfonie Nr. 8 im März 2016 in Philadelphia zur Aufführung brachte. 100 Jahre nach der US-Premiere gelang dem Maestro eine bewegende Interpretation des sinfonischen Mammutwerkes. 
Die Bedingungen waren ausgezeichnet. Mit der technisch hervorragend ausgestatteten Verizon Hall im Kimmel Center For The Performing Arts stand ein moderner akustischer Raum zur Verfügung, der dem mächtigen Chorgesang wie auch dem üppig besetzten Orchester eine großzügige Resonanz bot. Entsprechend ausgewogen stellt sich die Klangqualität des gerade bei Deutsche Grammophon erschienenen Live-Mitschnitts dar. Die verschlungene Vielstimmigkeit der Gesänge bildet sich in der Aufnahme glasklar ab. Das ist umso erfreulicher, als Nézet-Séguin größten Wert auf Transparenz legt. Seine Aufnahme lebt nicht nur von emotionaler Intensität, sondern auch von harmonischer Feingliedrigkeit.   

Künstlerische Starbesetzung

Nézet-Séguin ist dafür bekannt, dass er ein besonderes Gespür für Sängerinnen und Sänger hat. Er schenkt ihnen Raum und Vertrauen, sie dürfen sich bei ihm frei entfalten. Der empfindsame Dirigent war als kleiner Junge selbst Chorist. Er weiß, worauf es in Chören ankommt, was Sänger brauchen. Umgekehrt ist er sich auch klar darüber, was er als Dirigent benötigt, um einem herausfordernden Werk wie Mahlers Achter gerecht zu werden. 
Entsprechend ambitioniert fiel das Casting seines Projekts aus. Nézet-Séguin, der mit der Spielzeit 2020/2021 den begehrten Posten des Chefdirigenten der Met antritt, bot mit renommierten Chören wie dem Westminster Symphonic Choir oder dem American Boychoir und mit Sängerstars wie Angela Meade (Sopran) oder Mihoko Fujimura (Alt) glänzendes Personal auf. 
“Für mich ist diese vokale Besetzung die Crème de la Crème weltweit”, so der Dirigent in einem Video-Interview. Der Erfolg gibt ihm Recht. Jedenfalls beweist sein Live-Mitschnitt, dass die Chemie unter den Künstlern stimmte. Nézet-Séguin vermochte die Sängerinnen und Sänger mit seiner ebenso feinfühligen wie freisinnigen Art zu wahren Ekstasen der Gesangskunst anzutreiben. Und das Philadelphia Orchestra ist ohnehin eine künstlerische Heimat für Mahlers Achte.

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