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Lange, lange, lange Melodien

02.11.2001
Er komponierte wie Hollywood: Mit Gesang zum Weinen bringen, nannte Vincenzo Bellini sein Motto und konzentrierte sich ganz auf die emotionale Wirkung seiner Musik. Am 3. November ist sein 200. Geburtstag.
Verdi-Jahr, natürlich ist Verdi-Jahr. Doch Freunde des Belcanto, der uritalienischen Kunst der schönen Stimme, sollten einen weiteren Jubilar nicht vergessen: Vincenzo Bellini, der vor zweihundert Jahren, genau am 3. November 1801, in Catania auf Sizilien geboren wurde und viel zu früh, gerade 34 Jahre später, im Pariser Vorort Puteaux an einer Infektion starb. Ein Komponist, dessen Leben selbst fast eine Oper war: Er stieg schnell auf, doch noch bevor sein Stern zu leuchten begann, sank er ins Grab.
 
Bellinis Großvater und Vater waren ebenfalls Musiker, Organisten und Kapellmeister für den Kleinadel Catanias. Und auch der kleine Vincenzo zeigte früh musikalische Begabung. Ob er aber tatsächlich zweijährig kleine Arien nachsang und mit drei Jahren in der Lage war, Partituren zu lesen, wie manche Anekdote berichtet, sei dahingestellt. Belegt ist hingegen die Tatsache, dass der Stadtrat seiner Heimatstadt Catania dem Jüngling ein Stipendium für eine musikalische Ausbildung in Neapel gewährte, vielleicht in der Hoffnung, auch der junge Vincenzo würde wie schon seine Vorfahren das musikalische Leben der Stadt bereichern. Dem war nicht so, von Neapel aus zog es Bellini in die weite Welt.
 
Zunächst eroberte er sich Italien. Seine allererste Oper, “Adelson e Salvini” aus dem Jahr 1825, war noch ein Werk des Studenten. Doch schon im nächsten Jahr durfte er ein Stück am neapolitanischen Opernhaus produzieren, “Bianca e Fernando”. Dieser Prophet galt also von Beginn an etwas im eigenen Lande. Doch wollte Bellini mehr, er wollte an die Scala, und das glückte ihm wiederum ein Jahr später, mit der Oper “Il pirata”. Dieses Werk war zugleich die erste Zusammenarbeit mit dem Librettisten Felice Romani – mit dem er sich allerdings zwei Jahre vor seinem Tod heillos verkrachte – und das erste Werk des reifen Bellini, in dem er sich vom übermächtigen Vorbild Rossini zu lösen vermochte.
 
Den nächsten großen Triumph seiner noch jungen Karriere feierte Bellini 29-jährig am venezianischen Theater “La Fenice”. Die Vorlage lieferte jener Weltdramatiker, der später auch Verdi zu bedeutenden Opern inspirieren sollte: Shakespeare. Doch weder “Othello” noch “Macbeth”, sondern “Romeo und Julia”. Unter dem Titel “I Capuleti e i Montecchi” trat diese Vertonung des Stoffes – damals schon die elfte – den Siegeszug durch die Opernhäuser Europas an. Inzwischen hatte sich Bellini in Mailand eingelebt, im Haus eines älteren Musikerpaares ein zweites Zuhause gefunden, pflegte im Salon der Sängerin Giuditta Pasta intellektuellen Austausch und seine große Liebe zur jungen, aber verheirateten Giuditta Turina.
 
Die Affäre sollte bis zum Jahr 1833 dauern: Turina verließ das eheliche Heim und zog zu ihren Eltern. Bellini hingegen floh – vor der Ehe? – nach London: ein Verhalten, das zum anhaltenden Zerwürfnis mit seinem Librettisten Romani führte, der ihm in einem Zeitungsartikel verwerflichen Umgang mit den Gefühlen anderer Menschen vorwarf. Von London aus, das ihn kühl aufnahm, ging es schließlich im August 1833 nach Paris. Der aus unscheinbaren Verhältnissen stammende kleine Vincenzo, gebürtig aus Catania, hatte es geschafft: Er stand am Beginn einer wahrhaft europäischen Komponisten-Karriere.
 
“Norma”, uraufgeführt im Dezember 1831 an der Mailänder Scala, ist Bellinis bekanntestes Meisterwerk geblieben. So reißerisch die Handlung der Oper ist, so unvergänglich wirkt heute noch die affektgeladene Musik (wie etwa in dem populären “Casta Diva”), die dem reifen Verdi das Lob der “langen, langen, langen Melodien” entlockte. Bellinis Ruhm reichte allerdings nicht aus, ihm Zutritt zur Pariser Haute volée zu verschaffen: Allzu tölpelhaft bewegte sich der kaum der Landessprache mächtige Komponist in den Salons, zog sich so beispielsweise den verheerenden Spott Heines zu. Einen Freund allerdings fand er an der Seine und die Fachwelt kann sich nicht einigen, wer mehr von wem gelernt hat: Bellini von Chopin oder gar Chopin von Bellini? Beide haben die Melodien ihrer Werke aus tiefster Seele empfunden, und sind damit bis heute lebendig geblieben.