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Schlichte Schönheit – Klavierwerke von Michael Nyman

Valentina Lisitsa
© Alexei Kuznetsoff / Decca
19.03.2014
Wenn man aus dem Kino kommt und sich fragt: Von wem war eigentlich diese geniale Filmmusik? Dann lautet die Antwort oft: Michael Nyman. Kaum ein anderer Komponist hat so eingängig und prägnant für den Film komponiert, und nur wenige Komponisten verstehen es, sich zugleich so still und doch so unverkennbar geltend zu machen. Filmmusik sollte diskret sein, und das Verrückte bei Michael Nyman ist: Seine Musik ist trotz ihrer Markanz zutiefst diskret. Sie drängt sich überhaupt nicht auf, wenn man im Kino sitzt und Filme wie das Oscar-gekrönte Drama “Das Piano”, “Gattaca”, “Das Ende einer Affäre” oder “Das Tagebuch der Anne Frank” anschaut. Aber wenn man den Kinosaal verlässt, dann ist es so, als habe der Komponist einem diskret seine Visitenkarte überreicht und dabei bemerkt: Die Musik war übrigens von mir, nur so nebenbei.

Zarte Gefühlslagen

Der Witz ist natürlich, dass es Gefühlslagen gibt, die man nur ungern im Kinosaal zurücklässt. Man möchte sie mit nachhause nehmen. Und das Schöne ist: Man kann es in diesem Fall auch. Die Musik von Michael Nyman liegt in Gestalt zahlreicher Aufnahmen vor und wird jetzt durch eine ungewöhnlich innige Einspielung von Valentina Lisitsa um ein wahres Juwel bereichert, das nach allen Seiten hin sanft schimmert. Was an Lisitsas Album “Chasing Pianos” besticht, das ist die Behutsamkeit, mit der sie über die Tasten streicht. Die junge Ukrainerin weiß um die Zerbrechlichkeit des Schönsten in uns und führt diese Verletzlichkeit des Menschen auf ihrem neuen Album eindrucksvoll vor.  

Unbedingter Respekt

Dass die Klavierwerke Nymans eine poetische Stimmung entfalten können, ist nicht neu und passt auch zu den Filmen, die er vertont hat. Aber wie ausbalanciert und sturzgefährdet diese Poesie ist, das dürfte bei kaum einer anderen Interpretation seiner Werke so deutlich zutage treten wie bei Valentina Lisitsa. Bei jeder musikalischen Phrase spürt man, wie sie die fragile Kostbarkeit des Klangs im konkreten Augenblick zu erfassen sucht und den weichen Gebilden Nymans um keinen Preis Gewalt antun möchte. Sie hat den unbedingten Respekt, den die ebenso gefühlvolle wie populäre Kunst des britischen Komponisten erfordert.

Versöhnung mit dem Leben  

Michael Nyman komponiert einfache Melodien und verträumte Klangfarben, die er mit einer leicht nostalgischen Note versieht. Diese Gebilde wiederholen sich wellenartig und erzeugen dadurch eine meditative Atmosphäre, die zum innehaltenden Nachdenken oder zu romantischen Schwelgereien einlädt. Man hat, in den Filmen wie auch beim Hören von “Chasing Pianos”, oftmals das Gefühl, dass man am Ende einer langen und erlebnisreichen Reise angelangt ist und jetzt sagen kann: Es ist gut. Du hast gelebt. Lass nach. Genieße den Augenblick.

Klassik, Jazz und Pop

In den ersten vier Stücken der CD, die allesamt aus den Filmen “Das Piano” und “Das Tagebuch der Anne Frank” stammen, tritt der Personalstil Nymans in Reinform hervor. Lange, fließende, ruhige Bewegungen dominieren hier die Stimmung. “Sheep ’n’ Tides” aus Peter Greenaways Film “Verschwörung der Frauen” hat hingegen eine leicht tänzerische Anmutung. Bei diesem Stück weiß man Lisitsas zarte Spielkunst besonders zu schätzen. Wie auch später auf der CD in dem herzzerreißenden Stück “Why”, das aus dem Film “Das Tagebuch der Anne Frank” stammt und mit äußerster Zurückhaltung Momente schmerzhafter Sehnsucht andeutet.
Manche Stücke, wie “Odessa Beach” aus dem Film “Der Mann mit der Kamera”, klingen zunächst wie verträumte Barmusik. Aber Nyman baut hier Skriabin-artige Harmonien ein, die dem Stück eine faszinierend schräge Dimension verleihen. Andere Werke dagegen, wie “Time Lapse” aus “Ein Z & zwei Nullen”, beginnen wie ein Prélude von Chopin und nehmen dann eine leichtere Wendung. Nyman scheut sich nicht, Jazz- und Pop-Elemente in seine Musik einzubauen. Ein Stück wie “Fly Drive” aus dem Film “Carrington” klingt wie die äußerst gelungene Pianoversion eines Popsongs.

Chopin, Debussy, Lennon? Nein, Nyman

Aber wie man es auch wendet: Immer wenn man sagt, das klingt ja wie Debussy, ein bisschen nach Chopin, ein wenig wie John Lennon, dann kommt etwas dazwischen, das unverwechselbar Nyman erkennen lässt, der eben doch etwas ganz Besonderes ist. So wie seine kongeniale Pianistin Valentina Lisitsa, die das neue Album zu einem Hörgenuss sondergleichen macht, bei dem man zuhause im Sessel in schönster Verträumtheit mit seinen eigenen Bildern im Kopf entspannt abdriften kann.

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