Vadim Repin | News | Wo die Liebe hinfällt

Wo die Liebe hinfällt

15.11.2002
Es gäbe “Musikstücke, die man stinken hört”, meinte Eduard Hanslick gallig, nachdem er die Uraufführung von Tschaikovskijs Violinkonzert gehört hatte. Es war eines der berühmtesten Fehlurteile, die der berüchtigte Wiener Kritiker der Nachwelt hinterlassen hat. Denn das Werk wurde zu einem aufregenden Klassiker des Repertoires, der selbst Stargeiger wie Vadim Repin noch herausfordert.
Für Pyotr Ilyich Tschaikovskij war es ein Lichtblick in einer düsteren Zeit. Wenige Monate zuvor war eine Welt zusammengebrochen, als er nach überstürzter Heirat sich sehr schnell von seiner Frau wieder trennte und vor ihr in die Schweiz floh. Düstere Gedanken plagten ihn, die Arbeit an der Orchestrierung seiner 4.Sinfonie und der Oper “Eugen Onegin” wollte nicht vom Fleck kommen. Aus Pflichtbewusstsein, um nicht den ganzen Tag herumzuhängen, laborierte er an einer Klaviersonate. Doch die Welt blieb grau, solange bis ein früherer Geigenschüler ihn in seinem persönlichen Exil in Clarens am Genfer See besuchte. Josef Kotek war ein enger Freund des Komponisten, war sogar dessen Trauzeuge gewesen. Er gehörte zu den großen Geigenvirtuosen seiner Epoche und wurde von Tschaikovskij angehimmelt. Auch wenn er sich den Avancen des früheren Lehrers gegenüber gleichgültig zeigte, so war doch sein Besuch die richtige Medizin gegen die russischen Depressionen. Kotek und Tschaikovskij musizierten ausgiebig miteinander und der Gastgeber war im Anschluss daran derart inspiriert, dass er sich spontan zur Gestaltung eines Geigenkonzerts hinreißen ließ. Innerhalb von elf Tagen stand das Gerüst, zwei Wochen wurde orchestriert, der zweite Satz noch einmal überarbeitet. Im Dezember 1881 kam es dann zur Uraufführung in Wien, mit Adolf Brodsky als Solist. Die Österreicher waren zwar wenig begeistert, neun Monate später jedoch wurde das Werk in Moskau gefeiert und ist seitdem eines der anerkannten Glanzstücken der Geigenliteratur.
 
Ähnlich wie Tschaikovskij hat auch sein Landsmann Nikolai Myaskovsky nur ein Violinkonzert geschrieben. Es entstand als eines seiner persönlichsten Werke anno 1938, in einer Zeit, in der der Stalinismus sich bereits deutlich als Staatsdiktatur zu erkennen gab. Myaskovsky war damals Professor für Komposition am Moskauer Konservatorium und schlug sich in der Regel mit Märschen, Chorgesängen und didaktischen Stücken als Gebrauchsmusik für die kommunistische Selbstdarstellung herum. Sein Violinkonzert entstand nach ausführlichem Studium zahlreicher Vorlagen und sollte nach bescheidenem Urteil vom Komponisten “von einigem technischen Interesse für einen Virtuosen sein und könne einerseits mit Vergnügen gespielt werden und werde andererseits leicht für die Hörer sein”. Es wurde am 10. Januar 1939 vom jungen David Oistrach uraufgeführt und gehört seitdem zu den anspruchsvollen, weil sowohl klangarchitektonisch komplexen, als auch melodisch vielseitigen Orchesterwerken des 20. Jahrhunderts.
 
Die beiden Konzerte werden gerne zusammen präsentiert. Vadim Repin, von dem Yehudi Menuhin sagte, er sei “einfach der beste, perfekteste Geiger, den ich je gehört habe”, gestaltet sie gemeinsam mit dem Kirov Orchestra unter der Leitung von Valery Gergiev als strukturell miteinander verwandte Werke. In einer Art Vater-Sohn-Beziehung überträgt er die emotionale Färbung von Tschaikovskij Konzert auf die verhaltene Melancholie bei Mayskovsky und verhilft dessen Ideen dadurch zu neuen, leuchtenden Klangfarben. Repins immense Spieltechnik und perfekte Intonation auch in hohen Lagen, sein Einfühlungsvermögen und nicht zuletzt seine Leidenschaft machen aus der Aufnahme ein brillantes Dokument künstlerischer Größe, sowohl der Komponisten als auch der Interpreten.

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