Sviatoslav Richter | News | Der Gigant – Zum 100. Geburtstag von Sviatoslav Richter

Der Gigant – Zum 100. Geburtstag von Sviatoslav Richter

Sviatoslav Richter
© Gerard Proust
18.03.2015
Wer ihn einmal persönlich getroffen oder live auf der Bühne erlebt hat, der berichtet von dem unvergesslichen Eindruck, den Sviatoslav Richter bei ihm hinterließ. Weggefährten und Fachleute heben übereinstimmend seine künstlerische Geradlinigkeit, seine unbedingte Liebe zur Musik und seine funkelnde Intelligenz hervor.

Männliches Pathos

Sviatoslav Richter war kein Mann halber Sachen. Der im Jahre 1915 in der Nähe von Schitomir im Norden der heutigen Ukraine geborene Pianist ging stets aufs Ganze. Sein Klavierspiel war riskant. Er suchte nach dem absoluten Augenblick in der Kunst und nahm dafür in Kauf, dass man damit auch scheitern kann. Aber seine Begabung war so reich, sein Stil so überwältigend ehrlich und vital, dass ihm der große Coup gelang: ein eigener Ton, der bebte, eine Klangwelt, die bei aller Hermetik und Herbheit von den ganzen großen Gefühlen des Menschen kündete: von Liebe und Schmerz, von Zuversicht und Trauer, ja sogar von Ironie und Witz, die manch eine seiner Interpretationen durchzieht. Sein Innerstes vibrierte vor Ausdrucksverlangen, und er legte die ganze Kraft seiner leidenschaftlichen Existenz ins Klavierspiel.

Zarte Seele

Die Anfangsjahre waren geprägt von expressiver Vehemenz und harmonischer Klarsicht. Der junge Richter entdeckte Klangfacetten seines Instruments, von denen man bis dahin nicht einmal etwas geahnt hatte. Wenn er Prokofjew spielte, dann dampfte der Flügel beinahe, so heftig waren die Energien, die sein Spiel freisetzte. Der Phase des Sturm und Drang folgten Jahre des poetischen Feinschliffs, in denen er nach und nach immer mehr von sich preisgab. Dabei zeigte sich, dass hinter seiner pianistischen Heftigkeit eine zarte Seele verborgen lag. Richter war ein scheuer Mensch. Er fürchtete das Licht der Öffentlichkeit. Zugleich setzte er sich dem Publikum aus. Er ließ es teilhaben an seinem Innenleben. Wenn er im Dämmerlicht zu spielen begann, dann wurde es mucksmäuschenstill im Saal. Niemand rührte sich. Jeder spürte, dass er einem großen Augenblick beiwohnte.

Große Aufnahmen

Das Publikum liebte seine intimen Auftritte und war zugleich beeindruckt von seiner Gewalt am Klavier. Seine Konzerte genossen Kultstatus, und seine Aufnahmen sind bis heute der Renner. Niemand, der spannungsgeladene Klaviermusik mit poetischen Garnituren liebt, kann sich der magischen Wucht dieses Pianisten entziehen, und so ist es ein Segen, dass seine bahnbrechenden Aufnahmen in einer edlen Gesamtausgabe vorliegen. Ende letzten Jahres erschien die limitierte Jubiläumsbox, die sämtliche Einspielungen des Pianisten bei Decca, Philips und Deutsche Grammophon enthält, darunter sein berühmtes Sofia-Recital und ergreifende Referenzaufnahmen mit Herbert von Karajan, Benjamin Britten und Mstislaw Rostropovich.

Unsterbliche Kunst

Ob er dabei Bach oder Tschaikowsky spielt, ob er solo oder in Begleitung eines Orchesters auftritt, sein Stil ist stets zu erkennen. Ein ergreifendes, ein unsterbliches Zeugnis individualistischer Klavierkunst, an dem man weiterhin teilhaben kann! Es gibt keine bessere Möglichkeit, das Angedenken eines Pianisten wachzuhalten, als immer wieder seine Aufnahmen zu hören und so an seiner Unsterblichkeit mit zu weben.