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Die „Ring“-Vision von Kopenhagen

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28.05.2009
Letztlich ging es um eine Umwertung musikalischer Ästhetik. Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ sprengte alle bislang gültigen Vorstellung opernhafter Darstellung. Es wurde ein musikdramatischer Zyklus, wie ihn die Kulturwelt bis dato noch nicht erlebt hatte, und entwickelte sich darüber hinaus zu einer zeitlosen Studie des Menschlichen und seiner Abhängigkeiten von Parametern wie Schicksal, Liebe, Ehre und Intrige, die bis heute Regisseure ebenso wie Künstler mit den Grenzen ihrer Ausdruckskraft konfrontiert. Der „Ring“ ist ein Maßstab des klangtheatralisch Möglichen und es ist jedes Mal aufs Neue faszinierend, wenn es einem Team gelingt, aus der Saga eine überraschende, eindrucksvolle Interpretation zu destillieren, die die historischen ebenso wie die zeitgenössischen Vorgaben sinnvoll vereint. Eine derartige Produktion gelang Mitte dieses Jahrzehnts dem Regisseur Kaspar Bech Holten für die Royal Dutch Opera in Kopenhagen, deren hoch gelobte Aufführungen nun auf DVD vorliegen.

Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ ist eine der meist diskutierten und erforschten Opern der Musikgeschichte. Kaum ein Takt, der im Laufe der Jahrzehnten nicht interpretiert worden wäre, kaum eine Wendung, zu der nicht schon profunde Ansichten vorhanden sind. Trotzdem bieten sich reichlich Möglichkeiten, die Handlung zu gewichten. Kasper Bech Holten, der als konzeptioneller Kopf und Regisseur hinter dem „Copenhagen Ring“ steht, bringt im Booklet der DVD-Ausgabe die Grundlage seiner Inszenierung folgendermaßen auf den Punkt: „Wir folgen einer Frau, Brünnhilde, auf ihrem Weg zurück in die Vergangenheit, auf den Spuren ihres eigenen Lebens und des Lebens ihres Vaters. So findet sie inmitten der schwersten Lebenskrise zum Verständnis ihres eigenen Wesens und Werdegangs. Der Kern unserer Interpretation liegt in dem großen Erwachen Brünnhildes gegen Ende des ‘Rings’. In diesem Augenblick der Oper erreicht Brünnhilde einen Wendepunkt des Selbstverständnisses, und hier befreit sie sich von ihrer Familie – von ihrem Vater, ihrem Mann – um sich selbst zu verwirklichen“.

Mit diesen Vorgaben liegt es nahe, sich in einem durchaus wesentlichen Detail von Wagners Libretto zu verabschieden. Im Unterschied zum romantischen Bühnenklischee (dem sich auch der Komponist nicht erwehren konnte), eine erfolgreiche Frau am Ende der Handlung sterben zu lassen, entscheidet sich Brünnhilde in Kopenhagen gegen den Tod. Zwar brennt Walhall und auch der fiese Hagen kommt bei dem letzten Versuch um, den Ring an sich zu bringen. Brünnhilde jedoch lässt dieses Inferno hinter sich, als Perspektive (und offensichtlich schwanger von Siegfried) auf ein neues, selbstbestimmtes Leben. Damit gelingt Kasper Bech Holten der Link in das 21.Jahrhundert, ein zeitgemäßes Update eines Modells, das nach einem bewegten Saeculum nicht mehr unwidersprochen bleiben kann: „Die männliche Vorstellung davon, wie Macht ausgeübt und die Welt regiert werden sollte, erweist sich als kläglicher Trugschluss. Das Ende der Welt steht bevor, und an der Schwelle zur Vernichtung hält eine Frau ihr Leben in den Händen. Die entscheidende Frage ist: Hätte sie, hätten andere Frauen die Dinge anders gemacht, wenn es ihren möglich gewesen wäre?“

Holtens „Ring“ fand international große Zustimmung. Hier hatte jemand eine Deutung gewagt, die substantiell und schlüssig eine andere Richtung wies, als man sie bislang kannte. Dem Opernhaus von Kopenhagen gelang auf diese Weise ein großer Wurf und das lag auch am inspirierten Zusammenwirken aller Kräfte, die bei diesem gewaltigen, von 2001 an fünf Jahre lang wachsenden Projekt beteiligt waren. Da war zum einen die Kooperation von Dramaturg Henrik Engelbrecht, den Bühnen- und Kostümdesignern Maire i Dali und Steffen Aarfing und dem Lichtspezialisten Jesper Kongshaug, die für den passenden optischen und organisatorischen Rahmen sorgten. Vor allem aber gab ein herausragendes Ensemble mit Stig Andersen als Siegfried / Siegmund und Irène Teorin als Brünnhilde, deren schauspielerisches und musikalisches Talent die musikalische Vision mit Leben füllten. Für die orchestrale Wirkung sorgte das Royal Danish Orchestra unter der Leitung von Michael Schønwandt und so konnten nicht nur umjubelte Vorstellungen geboten werden, sondern auch eine faszinierende DVD-Version der Aufführungen vom Frühling 2006 entstehen, die nun im Wide-Screen-Format und DTS 5.1.Surround Sound sehr viel von der besonderen Atmosphäre des Kopenhagener „Rings“ dem Rest der Welt präsentiert.

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