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Nik Bärtsch’s Ronin – Neuanfang mit mehr Freiheit und Flexibilität

Nik Bärtsch's Ronin
Jonas Holthaus / ECM Records
02.05.2018
Sechs Jahre sind seit “Live” vergangen, der letzten Veröffentlichung von Nik Bärtsch’s Ronin. Die lange Pause wurde 2015 mit “Continuum” überbrückt, einem Album von Bärtschs rein akustischem Projekt Mobile.
“Ich wollte Ronin den Frieden und Raum geben, den die Band brauchte, um sich zu entwickeln”, sagt der Schweizer Komponist und Pianist. “Ich wollte sie nicht unter Druck setzen und vor der nächsten Aufnahme alle notwendigen Schritte unternehmen.”
Awase” gibt sowohl Aufschluss über die Fortschritte einer der derzeit originellsten Bands als auch über den heutigen Stellenwert der rituellen Groove-Musik, wie Bärtsch sein selbst erfundenes Idiom nennt, das gleich weit von Jazz und Funk und zeitgenössischer Komposition entfernt ist. Rituale können fast per definitionem nicht überstürzt werden. Und Ronin hatte einige Veränderungen zu verkraften. 2011 ersetzte der Bassist Thomy Jordi (einst Gründungsmitglied der Schweizer Free-Funk-Kultband Donkey Kong’s Multiscream) Björn Meyer. Ein Jahr später verabschiedete sich Perkussionist Andi Pupato, so dass die Besetzung vom Quintett zum Quartett getrimmt wurde. Dadurch hat sich Ronin allmählich zu einer subtil anderen Band entwickelt. Zu einer schlankeren, agileren Kreatur. 
Bärtsch spricht von einer neugefundenen Freiheit und Flexibilität im Umgang mit dem Material, von “größerer Transparenz, mehr Interaktion, mehr Freude bei jeder Performance”. Die neugefundene Freiheit erlaubt der Band hier, einige der frühen “Module” von Bärtsch noch einmal einer Revision zu unterziehen und sie mit neuen Kompositionen (darunter erstmals auch eine von Altsaxophonist und Bassklarinettist Sha) zu vermischen. “Wir haben viel Zeit damit verbracht, an dem neuen Repertoire zu arbeiten, wirklich alle Details auszuprobieren und genau auf einander abzustimmen.”
“Awase” ist ein Begriff aus der Kampfkunst und bedeutet soviel wie “zusammenrücken” im Sinne von “Energien aufeinander abstimmen” – eine passende Metapher für die dynamische Präzision, die mosaikartigen Grooves und den graziösen Minimalismus der aktuellen Ausgabe von Nik Bärtsch’s Ronin. In der alten Band wählte Bärtsch oft Björn Meyers extravaganten sechssaitigen Bass als Lead-Instrument. Thomy Jordis viersaitige Bassgitarre wird eher in der Struktur der Stücke eingesetzt, erfüllt kreativ eine traditionelle Bassfunktion und geht eine enge Bindung mit Kaspar Rasts kraftvollen Drums ein. Da Bärtsch auch sein eigenes Solospiel zurücknimmt, werden die Hörer ermuntert, die gesamte Musik und ihren vielschichtigen, veränderlichen Interaktionsansatz auf neue Weise wahrzunehmen.
Das Album beginnt mit einer gekürzten Version von “Modul 60”, die sich ziemlich von der Interpretation unterscheidet, die man auf dem Album von Mobile hören konnte. “Wir waren immer der Ansicht, dass die Kompositionen von beiden Gruppen – Mobile und Ronin – gespielt werden können, um verschiedene Aspekte der Musik hervorzubringen. Als wir ’60′ mit Mobile machten, klang es für mich sehr kammermusikalisch und strahlte eine Art bittersüße Atmophäre aus. Bei Ronin ist es auf ein Weise, die ich wirklich mag, karg, leer und spröde. Im Studio hatten Manfred und ich die Idee, dass es schön wäre, es als eine Art ‘Zitat’ zu spielen, um die Geschichte von ‘Continuum’ voranzubringen. Diese neue Version beginnt also ungefähr in der Mitte der Komposition…”
“Modul 58” baut – um es in der Terminologie von Ronin zu sagen – auf “einem simplen Patternzyklus auf, einfach 5 gegen 7, und mit dem gleichen Motiv, das aber eine so interessante Form schuf. Normalerweise denken wir, dass Metrum, Rhythmus und der Anfang eines Stückes alle auf der ‘Eins’ beginnen, aber bei vielen tribalistischen Musikkstilen, die wir bewundern, gibt es oft keinen so klaren Downbeat. ’58′ wird zu einer Art metrischem Mantra, das sich immer weiter auflädt, bis wir zu dem offeneren Teil gelangen. Es ist fast schon ironisch, dass man die Einfachheit der beiden Rhythmen hören kann, aber sie nie gleichzeitig erwischt. In seiner Anordnung und Energie kommt mir dieses Stück immer noch neu vor, obwohl es etwas archaisch Anmutendes hat.” 
Die Rolle, die der Bassklarinettist und Altsaxophonist Sha (eigentlich Stefan Haslebacher) bei Ronin spielt, hat stetig an Bedeutung gewonnen.
Ein Beleg dafür ist die Aufnahme seiner Komposition “A”, die auf dem Album einen kontrastierenden Übergang zwischen “Modul 58” und “Modul 36” bildet, aber auch ein absolut eigenständiges Stück ist. “Wenn Ronin es als ein Organismus spielt, erlangt es eine enorme Kraft”, meint Nik Bärtsch, “und es zeigt, glaube ich, dass Sha als Komponist dabei ist, eine persönliche und einzigartige Sprache zu entwickeln.”
“Modul 36” ist ein alter Ronin-Favorit, den die Gruppe Hörern bereits 2006 auf ihrem ECM-Debüt “Stoa” vorgestellt hat: “Ja, es war eine bewusste Entscheidung, dieses Stück zu wählen, um dieses Quartettalbum auch als eine Art Neuanfang zu kennzeichnen und zu zeigen, wie sich die Dinge entwickelt haben. Was die Struktur und die klaren, feinen Details, die kompositorischen Aspekte anbelangt – all dies ist erhalten geblieben. Aber das Gruppengefühl ist ganz anders und die Energie vielleicht mehr voodooartig. Und ich genieße es wirklich, ’36′ wieder als Teil der Band zu spielen, und nicht als Solist.”
Obwohl “Modul 34” schon “2002 oder 2003” geschrieben wurde, erfährt es erst hier seine Aufnahmepremiere. “Manchmal müssen Stücke einfach warten, bis sie fertig sind, oder wir bereit sind. Ein Teil der Herausforderung bei ’34′ bestand darin, es einerseits nicht zu unruhig und andererseits nicht zu formell klingen zu lassen.”
Die Mitglieder von Ronin treffen sich schon seit vielen Jahren jedn Montag, um in Workshops und Performances im Zürcher Club Exil die Andeutungen von Bärtschs Stücken auszutüfteln. Die Gruppe ist, so sagt Nik, noch dabei, sich mit dem anspruchsvollen Schlussstück “Modul 59” auseinanderzusetzen. Es ist laut ihm ein Stück, das den Weg in die Zukunft weist. “Es beginnt mit grundlegenden Ideen, in diesem Fall mit Triolen, und entwickelt sich zu einer Art polyrhythmischem, polyphonem Klangteppich. Wir haben es ausgiebig geprobt und entwickelt, und es überrascht uns immer noch.”

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