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Großes im Kleinen

Musica Antiqua Köln
© Harald Hoffmann / DG
01.04.2005
Vor mehr als 30 Jahren gründete Reinhard Goebel die Musica Antiqua Köln, um ein Ensemble zur Verfügung zu haben, dass den Bedürfnissen der historischen Aufführungspraxis entgegen kommt. Damals war der Violinist aus Siegen einer der jungen Idealisten einer Bewegung, die sich der Musikpflege auf Originalinstrumenten nach musikgeschichtlich möglichst korrekten Vorlagen widmete. Inzwischen sind Goebel und sein Kammerorchester weltweit eines der führenden Ensembles des Fachs und Einspielungen wie die der Flötenkonzerte von Georg Philipp Telemann (1681–1767) werden weiterhin Maßstäbe setzen.
Das ausgehende Barock war eine Hochzeit der Unterhaltungskultur. Der höfische Stil der absolutistischen Jahre hatte sich soweit verfestigt, dass er nach einem festen Kanon der Ausdrucksmöglichkeiten funktionieren konnte, zugleich war aber das individualistische Gedankengut der aufgeklärten Epochte noch nicht soweit in den Köpfen von Komponisten und Konsumenten präsent, dass es über ein paar Ausnahmen wie Johann Sebastian Bach hinaus sich durchgesetzt hätte. Der Geschmack war klar definiert. Musik sollte leicht und eingängig, gemäßigt gefühlvoll und heiter, zuweilen zärtlich und vor allem elegant sein. Sie sollte virtuos unterhalten und souverän gefallen, das Publikum weder unter- noch überfordern.
 
Das nun wiederum bedeutete, dass die Kunst der Komposition erlernbar und noch nicht, wie im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert von der Eingebung des Genius abhängig war. Für den jungen Magdeburger Studenten der Jurisprudenz Georg Philipp Telemann war das eine zentrale Einsicht, die ihn dazu ermutigte, in das musikalische Fach zu wechseln. Sein Einstiegsinstrument war die Orgel und das ursprüngliche Interesse lag im Bereich der kirchlichen Musik, das er jedoch bald auf andere Fächer ausdehnte. Anno 1704 erhielt er den Ruf an den Hof von Sorau, vier Jahre später landete er in den Diensten des Herzogs Johann Wilhelm von Sachsen-Eisenach, wiederum eine Durchgangsstation auf seinem Weg nach Frankfurt, wo er als Leiter des Collegium musicum sich Schritt für Schritt durch Konzerte und Kompositionen in der Wertschätzung seiner Zeitgenossen nach oben arbeitete.
 
Telemann avanciert zu einem der angesehensten und produktivsten Musikschaffenden des Spätbarocks. Sein gewaltiges Werk umfasst allein 40 Opern, 35 Oratorien, diverse geistliche und weltliche Musik wie etwa 600 Orchestersuiten. Dass Reinhard Goebel aus diesem enormen Oeuvre gerade die Flötenquartette TWV 43 auswählt hat, liegt unter anderem an der inhaltlichen Geschlossenheit dieser Miniaturen. Die acht, mal drei-, mal viersätzigen Werke präsentieren den Komponisten als wesentlich vielschichtiger und innovativer, als er von der Forschung gemeinhin gesehen wird. “Obwohl es deutlich schwieriger ist, wirkliche neue Wahrheiten zu offenbaren, als alte Torheiten ad absurdum zu führen, hoffe ich, das die vorliegenden Aufnahme nichtsdestotrotz einem bestimmen Odeur widerspricht und als ein Schritt auf dem Weg zu einem neuen Telemann-Bild gesehen werden kann”, meint Goebel zu den Intentionen der im Mai 2004 im Sendesaal des Deutschlandfunks in Köln entstandenen Einspielungen.
 
Die wunderbare Einfachheit, mit der die Musica Antiqua dabei vorging, und die ausgewogene Klanggestalt, die ihr mit den Originalinstrumenten gelungen ist, trifft tatsächlich eine ästhetische Vorstellung, die der des Komponisten nahe kommen könnte – soweit man das aus heutiger Perspektive rekonstruieren kann. In jedem Fall stellt sie Telemann als ausgezeichneten Feinarbeiter der stimmlichen Ausgewogenheit dar. Und das allein sichert ihm schon einen Platz auf den vorderen Rängen der Musik des 18. Jahrhunderts.