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Sinfonische Gemälde – Mirga Gražinytė-Tyla kehrt zu Mieczysław Weinberg zurück

Mirga Gražinytė-Tyla
© Andreas Hechenberger
29.09.2022
Das musikalische Erbe des polnisch-jüdischen Komponist Mieczysław Weinberg tritt in den letzten Jahren zusehends aus dem Schatten seines Freundes und Förderers Dmitri Schostakowitsch heraus. Entscheidend dazu beigetragen hat der lettische Stargeiger Gidon Kremer, der seine Leidenschaft für Weinberg wiederum an die litauische Ausnahmedirigentin Mirga Gražinytė-Tyla weitergegeben hat. Gemeinsam mit Gidon Kremer, der Kremerata Baltica und dem City of Birmingham Symphony Orchestra nahm Gražinytė-Tyla 2018 ihr erstes Weinberg-Album auf. 2019 debütierte sie mit dieser Aufnahme bei Deutsche Grammophon.
Die Veröffentlichung löste Wogen der Begeisterung aus. Das britische Klassikmagazin Gramophone kürte das Album mit einem “Gramophone Classical Music Award”. Die Los Angeles Times ließ es als “das mit Abstand eindrucksvollste Dirigentendebüt auf Platte” hochleben.

Empfindsamer Dialog

Nach ihren in der Zwischenzeit erschienenen, hochgelobten Aufnahmen britischer Musik (“The British Project”), kehrt Gražinytė-Tyla jetzt zu Mieczysław Weinberg zurück. Ihr zweites Weinberg-Album beim Gelblabel enthält neben den Sinfonien Nr. 3 und Nr. 7 das hinreißende Flötenkonzert Nr. 1, das der Komponist 1961 schrieb und dem russischen Flötisten Alexander Korneev widmete. Mirga Gražinytė-Tyla präsentiert es auf dem neuen Album gemeinsam mit der deutschen Flötenvirtuosin Marie-Christine Zupancic, die zwischen Weinbergs tänzerischer Leichtigkeit und seinem elegischen Innehalten geschickt zu vermitteln weiß.
Das Flötenkonzert beginnt heiter, mit einem melodischen Kopfsatz. Darauf folgt ein breitflächiges Largo, das melancholische Stimmungen heraufbeschwört, bevor der Komponist im Finalsatz auf Elemente der jüdischen Musiktradition zurückgreift und mit subtilen Walzer-Motiven spielt. Dabei entspinnt sich ein empfindsamer Dialog zwischen Zupancic und dem City of Birmingham Symphony Orchestra, bei dem ein zartes Netz an Beziehungen entsteht.

Hoffnungsvolle Empfindungen

Solche fragilen Beziehungsgeflechte, die von hoffnungsvollen Gefühlen initiiert zu sein scheinen, findet man oft bei Weinberg. So auch in der farbenreichen Sinfonie Nr. 3 in h-Moll (op. 45), die unter den düsteren Vorzeichen der stalinistischen Kulturpolitik entstand, in deren Mühlen der 1939 aus Warschau nach Moskau geflohene Komponist geraten war. Obgleich die 1949/50 komponierte und 1959 revidierte Sinfonie der Doktrin des “Sozialistischen Realismus” entsprechen sollte, bleibt Weinberg seinem hohen Anspruch treu und setzt mit lyrisch verträumten Melodien und bebenden Klängen eigene Akzente. 
In der Sinfonie Nr. 7 in C-Dur (op. 81), die der Komponist 1964 zum Abschluss bringt, klingen experimentellere Töne an. Das Werk ist als eine Art barockes Concerto grosso für Cembalo und Streichorchester angelegt. Doch trotz der intimen, eher kammermusikalischen Anlage verströmt die Sinfonie eine Atmosphäre der Weite. Gražinytė-Tyla hat das Werk gemeinsam mit dem Cembalisten Kirill Gerstein und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen aufgenommen. Die Interpretation besticht durch ihren reinen, noblen Klang, dessen Stimmungsgebilde trotz düsterer Zwischentöne wie die Befreiung von einer Last wirken.

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