Ludovico Einaudi | News | Punkte, Linien, Formen, Fragmente – Ludovico Einaudi hat mit "Elements" ein neues Konzept-Album eingespielt

Punkte, Linien, Formen, Fragmente – Ludovico Einaudi hat mit “Elements” ein neues Konzept-Album eingespielt

Ludovico Einaudi
© Decca/ Ray Tarantino
15.10.2015
Sicher gibt es keine schönere Jahreszeit als den Herbst für ein neues Studio-Album von Ludovico Einaudi. Zwei Jahre nachdem er mit “In A Time Lapse” europaweit in den Klassikcharts führte, veröffentlicht der Meister des pointierten, popkompatiblen Minimalismus sein jüngstes Oeuvre “Elements”.

Flucht aus der Routine

Es sei nicht schwer zu verstehen, warum Einaudi zu den erfolgreichsten lebenden Komponisten gehöre, bemerkte kürzlich der englische Independent. Bereits der vorab veröffentlichte Titel “Night” von Elements thronte im Sommer auf Platz 1 der Klassik-Charts von iTunes. Mit Dutzenden Soundtracks von Filmen und TV-Serien ist der Turiner seit den späten 1980ern zum Star geworden. Er ist der am meisten gestreamte Klassik-Künstler. Hunderttausende sind seine Facebook-Freunde und Twitter-Follower. Interessant ist nun auf dem neuen Album zu hören, wie sich der Grenzgänger zwischen Klassik, Ambient, Weltmusik und New Age auf Elements verändert hat, um nicht in eine Routine zu verfallen, die jedem Komponisten seines Erkennungswertes zum Verhängnis werden könnte.

Die Malerei des frühen 20. Jahrhunderts inspirierte Einaudi zum neuen Album

Angeregt haben ihn, eigenen Angaben nach, einige Werke großer Denker, in denen sie ihre Arbeit reflektieren, insbesondere Wassily Kandinskys berühmter Essay Point and Line to Plane. Veröffentlicht 1926 – zu einer Zeit großer Umwälzungen in der Malerei (Fauvismus, Kubismus, Symbolismus) – schuf der russische Expressionist und Bauhaus-Lehrer damit eines der stärksten Kunst-Kompendien. Das Album entspräche dem Wunsch “nach einem Neuanfang, bei dem das Bewusstsein andere Wege einschlägt… Punkte, Linien, Formen, Fragmente eines nie versiegenden inneren Stroms”, so hat Einaudi sein neuestes Werk metaphorisch skizziert.

Elements spielt an der Grenze zwischen “Vertrautem und Unbekannten”

Natürlich bleibt der Pianist und Komponist hier immer noch mit sich selbst identisch. Eine radikale, das Publikum irritierende Erneuerung ist keinesfalls sein Anliegen. Auch wenn etwa eine elektrisierende, avantgardistische Aufbruchsstimmung auf dem Stück “Twice” herrscht, so ist Elements gefühlt weniger stürmisch-schwelgerisch, innerlich ruhiger, gelassener als bisherige Werke des fast 60-Jährigen. Dennoch: die überbordend  emotionalen, beglückenden und transzendentalen Klänge seines Gesamtwerks fließen auch aus diesem, für Klavier, Streicher, Perkussion, Gitarre und elektronische Instrumente geschriebenen, zwölfteiligen Opus.
Auf dem Titelstück mündet ein Herzschlag vom Bass in zunächst sanfte, dann bewegte Flügelschläge von Streichern (von der Amsterdam Sinfonietta eingespielt). Ähnlich sphärische, schwebende Sounds hat er auf Hits wie “Divenire” untergebracht. Die elliptisch ritardierenden und wieder treibenden Klavier-Ostinati von bekannten Soundtracktiteln wie “Una Mattina” – Einaudi liefert sie seinen vielen Fans auch hier, bereits im ersten Stück von Elements: “Petricor”, auf dem die Solo-Violine vom britischen Stargeiger Daniel Hope den Hörer in Abgründe reißt. Hope wirkte bereits auf Einaudis  Albumvorgänger mit und nahm eine Komposition Einaudis auf sein letztes eigenes Album Spheres. Weitere Kollaborateure von Elements sind unter anderen der italienische Cellist Redi Hasa, der brasilianische Perkussionist Mauro Refosco und der Berliner Elektronik-Musiker Robert Lippok (To Rococo Rot).

Elemente in harmonischer Balance

Das Komponieren von Elements traf eine Schnittstelle zwischen dem Suchen nach neuen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten und dem Vermitteln tiefer, eigener Gefühle, sagte Einaudi, der selbst auch das Cover-Artwork zum Album erstellte, dem britischen Mouth-Magazine im Interview. Dass der Klangvisionär dabei eine Suite hervorgebracht hat, in der er die einzelnen Teile perfekt zu einem in sich ruhenden großen Ganzen ausbalancierte, liegt sicher an seinem spirituellem Reifeprozess. Einen schöneren Soundtrack zu diesem Herbst kann man sich nicht wünschen.  

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