Keith Jarrett | News | Sprühende Moderne – Keith Jarrett spielt Barber und Bartók

Sprühende Moderne – Keith Jarrett spielt Barber und Bartók

Keith Jarrett
© Henry Leutwyler/ECM Records
06.05.2015
Klassische Musik war für ihn stets eine Versuchung. Schon einer seiner ersten Lehrer bestätigte ihm, dass er alle Voraussetzungen für einen klassischen Konzertpianisten mitbringe.

Musikalisches Abenteuer

Doch Jarrett zog es in den Jazz. Die Anziehungskraft war zu groß. Hier konnte er eines seiner größten Talente entfalten: die Improvisation. Außerdem war er zu rebellisch für den Klassikbetrieb, der damals, in den sechziger Jahren, noch wesentlich gesetzter war als heute. Trotzdem schielte er immer mal wieder rüber. Es war nicht ohne Reiz, auskomponierte Musik zu interpretieren, und der passionierte Jazzpianist liebte bestimmte Meister der Tradition, wie zum Beispiel Johann Sebastian Bach. In den achtziger Jahren war es dann soweit. Keith Jarrett wagte den Schritt in die Klassik, und daraus entwickelte sich ein wahres musikalisches Abenteuer und ein überwältigender Erfolg bei Publikum und Kritikern. Damit nimmt Keith Jarrett eine Sonderrolle ein als Pianist, der in beiden Welten, dem Jazz und der Klassik, gleichermaßen anerkannt und geschätzt wird. Was auch immer er in der Folge auf dem klassischen Terrain anfasste: Es hatte mitreißende Qualitäten, die in dieser Form wohl nur von einem Pianisten ausgehen konnten, der von außen an die klassische Tradition herangetreten war.

Diskreter Swing

Keith Jarrett tat dies mit ungeheurem Respekt. Er war weit davon entfernt, den Klassikpianisten vorzuführen, wie man es richtig macht. Seine Wertschätzung für den Eigensinn der klassischen Musik war so groß, dass es ihm anmaßend erschien, diese ureigene Klangwelt ungefragt mit Jazz zu verbinden. Die Jazzkultur selbst schätzt das Besondere, das Individuelle, und mit dieser Haltung eignete sich Jarrett auch Bach und Mozart, Barber und Bartók an. Doch so sehr er auch davon absah, die klassische Musik mit Jazzmomenten zu kombinieren – er konnte nicht aus seiner Haut. Wohldosiert flossen in seine Klassikaufnahmen Elemente der Improvisationskunst ein, und es ist gerade dieser diskrete Swing, diese beinahe unbemerkte Einflechtung pulsierender Rhythmik, die seine Klassik-Interpretationen so reizvoll macht. Mit Barber und Bartók hat es dabei etwas Besonderes auf sich. Die modern vibrierende Kunst dieser beiden Komponisten des 20. Jahrhunderts kommt dem Jazztemperament von Keith Jarrett entgegen. Hier kann er die natürliche Verbindung von auskomponierter Musik und improvisiertem Jazz ausloten.    

Seltene Aufnahmen

Deshalb ist es ein Segen, dass die beiden Klavierkonzerte von Samuel Barber und Bela Bartók in einer exklusiven Live-Aufnahme vorliegen und dem Publikum jetzt zugänglich gemacht werden. Es handelt sich, wie Jarrett in einem bewegenden Geleitwort des CD-Booklets mitteilt, um seine einzige Aufnahme dieser beiden Kompositionen. Das Klavierkonzert op. 38 von Barber spielte er 1984 in Saarbrücken mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken unter der Leitung von Dennis Russell Davies. Mit Bartóks Klavierkonzert Nr. 3 trat er 1985 in Tokyo auf, begleitet vom New Japan Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Kazuyoshi Akiyama.
Doch als er sich darauf vorbereitete, das Barber-Konzert mit dem Houston Symphony Orchestra für Decca aufzunehmen, geschah das Unfassbare: ein Ski-Unfall, eine verletzte Hand. Zwar spielte er, nachdem die Hand wieder genesen war, sowohl Barber als auch Bartók wieder auf einer Europa-Tournee, aber es kam zu keiner weiteren Aufnahme. Wer weiß, wozu es gut war! Die vorliegenden Aufnahmen bewegen sich jedenfalls auf einer pianistischen Höhe, dass man sich bessere Einspielungen kaum vorstellen kann. Jarrett entfaltet mit gewaltiger Leidenschaft die romantisch angehauchte und zugleich doch überaus moderne Atmosphäre, die Barber und Bartók auf je unterschiedliche Weise stiften.

Moderne Welten

Barbers Klavierkonzert beginnt beinahe wie ein typischer Soloauftritt Jarretts: mit rhythmisch wechselnden, improvisationsartig wirkenden Klangmustern. Doch wenn das Orchester einsetzt, transformiert sich der wilde Anfang in elegische Träumereien. Das Gemisch aus wilden Ekstasen, zarter Poesie und urplötzlicher Dramatik bildet den Reiz dieses Werkes, das wie ein spannungsgeladener Film am Hörer vorbeizieht. Bartóks Klavierkonzert wirkt formal strenger. Jarrett sprengt es aber mit seinem fieberhaften Swing immer wieder auf, so dass die urban tickende Regelmäßigkeit des Rhythmus nie statisch wirkt. In der abschließenden Jazz-Improvisation, ein Live-Mitschnitt von einem Auftritt in Tokyo, kommen versöhnliche Gefühle auf, gepaart mit heiterer Gelassenheit. Es ist, als ob Jarrett hier einen milden Sommerabend friedlich ausklingen lässt. Ein herrlicher Kontrapunkt zu der erregenden Dramatik und aufwühlenden Intensität, die uns bei Barber und Bartók begegneten.

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