Keith Jarrett | News | Keith Jarrett mit den „Württembergischen Sonaten“ von C.P.E. Bach auf Platz 1 der Klassik-Trendcharts

Keith Jarrett mit den „Württembergischen Sonaten“ von C.P.E. Bach auf Platz 1 der Klassik-Trendcharts

Keith Jarrett
Henry Leutwyler / ECM Records
29.06.2023
ECM New Series hat ein neues Album des US-amerikanischen Pianisten Keith Jarrett veröffentlicht. Auf dem Programm stehen die “Württembergischen Sonaten” von C.P.E. Bach, ein in die Zukunft vorausweisender Klavierzyklus.
Keith Jarrett hat sich klassischem Repertoire stets mit besonderer Zurückhaltung genähert. Der exaltierte Jazz-Improvisator, bekannt für seine virtuose Art, das Klavier als Ausdrucksmittel spontaner Empfindungen in Gebrauch zu nehmen, ist Komponisten wie Bach, Händel oder Mozart immer eher aufmerksam nachspürend, verstehend gefolgt. Seine Bach-Aufnahmen etwa zeichnen sich durch eine poetisch-fließende Manier aus, still, unaufgeregt, mit wenigen lässigen Gesten, aber spürbarer Lust an harmonischer Delikatesse.
Aber auch bei anderen Komponisten verwandte der Pianist viel Sorgfalt darauf, ihrer jeweiligen Klangsprache gerecht zu werden. Diese Qualität zeichnet auch die kostbare Archivalie aus, die ECM New Series soeben gehoben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat: Jarretts farbenreiche, zwischen frenetischer Entfesselung und sanftmütiger Poesie changierende Aufnahme der “Württembergischen Sonaten” (1742/43) von Carl Philipp Emanuel Bach. 
Jahre mit Bach
Die Aufnahme stammt von 1994. Sie fällt in eine Zeit, in der Jarrett mit Bach, Händel und Schostakowitsch große Komponisten Europas ins Zentrum seines Schaffens rückt. Sein Hauptaugenmerk gilt dabei J.S. Bach. 1988 präsentiert er bei ECM seine vielbeachtete Aufnahme des ersten Teils von Bachs “Wohltemperiertem Clavier”. 1989 erscheint seine Interpretation der Goldberg-Variationen. 1991 folgt der zweite Teil des “Wohltemperierten Claviers” und eine mit Kim Kashkashian und ihm selbst am Cembalo verwirklichte Einspielung der drei Gambensonaten, bevor er 1993 mit den Französischen Suiten einen vorläufigen Schlusspunkt hinter seine intensive Auseinandersetzung mit dem Thomaskantor setzt. 
Ein Jahr später sitzt er im heimischen Cavelight Studio in Oxford/New Jersey am Flügel und widmet sich C.P.E. Bach, dem zweitältesten Bach-Sohn und größten Vorbild Mozarts. Die Musik des experimentierfreudigen Tonschöpfers, der die strengen Formen seines Vaters zwar nicht verwirft, aber doch deutlich auflockert, ist, wie man jetzt, knapp dreißig Jahre nach Jarretts Aufnahme erfahren darf, ganz nach dem Geschmack des großen Jazz- und Klassikpianisten.  
Schule der Empfindsamkeit
Die plötzlichen Tempowechsel, die harmonische Kühnheit und der deklamatorische Stil von C.P.E. Bach kommen Jarretts agilem Temperament deutlich entgegen. Wie der Hamburger bzw. Berliner Bach, der am Hof Friedrichs des Großen Karriere machte, weiß Jarrett, was es heißt, seine Emotionen in die Musik zu legen und den oft unkontrollierbaren, plötzlichen Wendungen des Seelenlebens Ausdruck zu verleihen. Am schillerndsten zeigt sich dies im hochgespannten ersten Satz der sechsten Sonate (H. 36), den Jarrett ebenso entfesselt wie klar strukturiert vorträgt. 
In den langsamen Mittelsätzen der Sonaten bewährt sich Jarretts legendäre Fähigkeit, sich melancholischen oder verträumten Stimmungen hinzugeben. Insgesamt besticht seine Interpretation der Württembergischen Sonaten durch Jarretts souveräne Integration leidenschaftlicher Impulsivität, empfindsamen Ausdrucks und harmonischer Transparenz. Damit darf diese Aufnahme als ein weiterer wesentlicher Baustein in Jarretts vielgestaltiger Diskografie gelten.

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