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Keith Jarrett – 4. Solo-Improvisationen

29.04.2005
“Wenn du als Bergsteiger auf der Hälfte des Felsens angekommen bist, musst du dich bewegen, weiter irgendwohin gehen. So geht es auch mir. Ich finde einen Weg”, (Keith Jarrett über seine Solo-Improvisationen, 1997). Das Solo-Spiel durchzieht Keith Jarretts kreative Laufbahn wie ein goldener Faden. Doch solo heißt in seinem Fall nicht allein. Er pflegt nicht nur ein anregendes Zwiegespräch mit der Stille, sondern bewegt sich auch in den Soundlandschaften, die ihm von Manfred Eicher bereitet werden. Spontane Inspiration und eine exklusiv darauf zugeschnittene Umgebung treten bei jeder Solo-Performance in eine neue Wechelbeziehung. Jarrett spielt nicht nur Klavier, er spielt des Raum.
In seinen solistischen Arbeiten beschränkte sich Jarrett nicht aufs Klavier allein. Auf “Invocations” (1981) drang er in die kosmischen Tiefen von Sopransaxofon und Orgel vor, übersetzte seine Entdeckungen so nah und physisch in Klang dass der Hörer buchstäblich und unmittelbar an Jarretts Entdeckungen teilhat. Auf “Book Of Ways” (1987) inszenierte er ein ganz einzigartiges intuitives Klangtheater auf dem Cembalo, das die Ahnung vom Barock ins Zeitgefühl der Gegenwart transformierte. Auf anderen Alben ließ er seiner Fantasie freien Auslauf und gelangte stets an einen Punkt, der von seinem Ausgangspunkt Lichtjahre entfernt war. Auf seinem jüngsten Werk “Radiance” tritt Jarrett jedoch in einen kritischen Dialog mit seiner eigenen Vergangenheit. “Ich gewann den Eindruck, dass ich zuviel gespielt hatte, insbesondere bei Solokonzerten. Manchmal hätte ich einfach still sein sollen”, so sein Fazit.

“Radiance” ist Jarretts erstes Album mit Solo-Improvisationen seit zehn Jahren. Der Mitschnitt zweier Konzerte in Tokyo und Osaka von 2002 dokumentiert einen ganz neuen Umgang mit der Stille, ein neues Verhältnis zum einzelnen Ton. Die Stücke des Albums werden kürzer, die Abläufe überschaubarer. Jarrett spielt effizienter, hat zu Beginn einer Improvisation schon das Ziel vor Augen. Der Ton wird viel deutlicher als früher zum elementaren Partikel, der die immanente Strahlung des jeweiligen musikalischen Kontextes absorbiert und weiterträgt. Jarrett arbeitet mit verschiedenen Dichtegraden, in denen Farbe und Fluss der Musik intensiviert oder gelockert werden. Die Freiheit des Jazzmusikers geht einher mit der Disziplin des Klassikpianisten.

Die Veröffentlichung dieser Doppel-CD an Jarretts 60. Geburtstag am 8. Mai 2005 ist rein zufällig. Und doch symbolisiert diese Koinzidenz einmal mehr jene variable Schnittstelle zwischen Erfahrungen und Perspektiven dieses immer neugierigen und wandlungsfreudigen Tastenenzyklopädisten. Vor allem aber schaffen die 140 Minuten freier Improvisation auf “Radiance” langfristig Klarheit darüber, dass Jarrett noch weit entfernt von dem Punkt ist, der eine abschließende Aussage über seinen Stil, seine Haltung oder sein Verhältnis zur Musik zulassen würde. Im Gegenteil, er findet immer einen neuen Weg.

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