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Der gute Mensch

15.07.2005
Es ist noch immer ein ungewöhnliches Libretto. Wo sich sonst die Oper an Schicksalen ergötzt, die in Katastrophe und Tod enden, hat Gottlieb Stephanie der Jüngere die Liebe und die Menschlichkeit über Rache und Vergeltung triumphieren lassen. Es hat einen Hauch von Lessings “Nathan”, wenn Bassa Selim die Liebenden in die Freiheit entlässt und eben nicht den Einflüsterungen des einfältigen Osmin folgt. Und deswegen ist Mozarts “Entführung aus dem Serail” ein Singspiel mit Anspruch, das sich mit Hintersinn inszenieren lässt, ganz wie es August Everding 1980 für die Bayerische Staatsoper getan hat. Nun ist seine Regiearbeit auf DVD erschienen, ein hochgelobtes Meisterstück mit ausgezeichneter Besetzung.
August Everding und Karl Böhm kannten sich schon von verschiedenen früheren Produktionen. Im Jahr 1967 zum Beispiel hatten sie gemeinsam einen triumphalen “Tristan” an der Wiener Staatsoper geleitet. Bald darauf gaben sie sich mit Strauss an der Hamburger Oper die Ehre, zunächst 1970 mit “Salome”, dann 1973 mit “Elektra”. Sie waren ein eingespieltes Team und konnten auf eine immense gemeinsame Erfahrung zurückgreifen – immerhin hatte Böhm seine erste “Entführung” bereits 1924 ebenfalls in München dirigiert. Für die Fernsehversion stand ihnen mit Karlheinz Hundorf außerdem ein umsichtiger Regisseur zu Verfügung. Gesendet wurde die Entführung aus dem Serail am 25. April 1980 in der ARD zur Primetime, eine kulturpolitische Tugend, die inzwischen aus der Mode gekommen ist. Und sie wurde von den Rezensenten der Tagespresse ausführlich gelobt, die da meinten, es sei ein Meisterstück gelungen “mit sorgfältig ausgeklügelter Technik und mit viel Fingerspitzengefühl für die sensiblen Sänger. So gab es diesmal (wie erfreulich) keine hemmungslosen Nahaufnahmen von geöffneten Sänger-Kehlen. Der Zuschauer erlebte auf diese Weise das Geschehen aus nächster Nähe, ohne gleich indiskret zu sein. Karlheinz Hundorf, der für die Übertragung verantwortlich war, hat es zu einer unübertroffenen Meisterschaft darin gebracht, in seiner Fernsehregie die Gegebenheiten der Bühne für den Bildschirmbetrachter annehmbar zu machen. Die beweglichen Kulissen von Max Bignens stellten ihn vor keinerlei Probleme. In der Totale ließ er die Kamera aus der Mittelloge des Nationaltheaters heraus die Verwandlungen auf offener Szene beobachten, und dann ließ er sie ganz allmählich die Solisten näher heranholen. Die Großaufnahme besorgte dann eine Seitenkamera”.

Tatsächlich gelang auf diese Weise eine Verknüpfung zweier verschiedener Bildsprachen. Die Dynamik der geschnittenen Filmaufnahmen korrespondierte elegant mit der Statik einer festen Theaterbühne, die lediglich kleine Bewegungen im Raum zulässt. Es wurden keine Gimmicks nötig, das Tempo der Handlung zu gewährleisten, sondern die Kamera vertraute auf die darstellerische Kraft der Sänger, die von Everding souverän in Szene gesetzt worden waren. Der Regisseur schaffte es, nicht zuletzt durch den faszinierend finsteren Thomas Holtzmann als Bassa Selim, zum einen das ernste Gespann Selim, Belmonte, Konstanze, zum anderen die Buffo-Figuren Osmin, Pedrillo und Blonde als zwei ineinander laufende Stränge zu gestalten, die aus verschiedenen Perspektiven das menschliche Grundbedürfnis nach Gefühl und Unmittelbarkeit verkörperten. Francisco Araiza (Belmonte) und Edita Gruberova (Konstanze) mimten zwei überzeugend sich Liebende, Reri Grist (Blonde) und Norbert Orth (Pedrillo) das verspielt tändelnde Gegenstück dazu und Martti Talvela einen ungemein hühnen- und tölpelhaften Palastaufseher, der trotz seiner verbohrten Ansichten durch das Bärenhafte seiner Erscheinung die Sympathien des Publikums auf sich zog. So wurde es eine rundum gelungene Inszenierung eines Klassiker, der mit wenig Prunk auskam und doch in inspirierter Weise den exotistisch-märchenhaften Vorstellungen des Originals entsprach.

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