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Maßstäblich: Karl Richter dirigiert Bach

Eloquence
16.03.2010
Über ein Vierteljahrhundert hinweg galten die Bach-Interpretationen Karl Richters als Maßstab. Vor allem für die geistlichen Werke des Thomaskantors hatte der Dirigent eine Sensibilität entwickelt, die ihm die künstlerische Arbeit auf oberstem Niveau ermöglichte. Sein legendärer Bach-Zyklus mit den Aufnahmen der „Passionen“, der „h-moll Messe“ und der „Osterkantaten“ liegt nun erstmalig in einer vollständigen Box-Edition auf 10 CDs vor, die in der preiswerten Eloquence-Reihe einen perfekten Einstieg in die klassische interpretierte Klangwelt der Vokalmusik von Johann Sebastian Bach bietet.

Aus theologischer Sicht ist Ostern das wichtigste Fest im Jahreskreislauf. Denn erst durch Jesu Tod und Auferstehung wird der Mensch erlöst und der Nähe des barmherzigen Gottes gewiss. So gehörten auch die Gottesdienste der Osterzeit zu den zentralen kirchenmusikalischen Ereignissen, die Johann Sebastian Bach in seinem Amt als Thomaskantor zu gestalten hatte. Er nahm die Herausforderung an und schuf mit seinen Passionen, Oratorien und Kantaten zeitlose Huldigungen der göttlichen Größe. Als musikalischer Leiter der Thomaskirche und deren Dependancen hatte er jeden Sonntag neue Kantanten für den Gottesdienst zu liefern und darüber hinaus noch weitere Werke, die bei größeren Festen als Klangrahmen des liturgischen Geschehens gefordert waren. Besonders wichtig war dabei die Osterzeit. Für Karfreitag zum Beispiel hatten sich seit Bachs Vorgänger Johann Kuhnau Aufführungen von großen Passionen eingebürgert. Nach den vergleichsweise ruhigen Köthener Jahren empfand der neue Kantor diese Aufgabe als Herausforderung und präsentierte bereits 1724 die „Johannes-Passion“, die im folgenden Jahr in einer bearbeiteten Version abermals aufgeführt wurde. Sie griff zum Teil auf Materialien aus den Weimarer Jahren zurück und entsprach dem Typ der so genannten oratorischen Passion, bei der der Predigttext des Evangeliums um Choräle und Arien ergänzt wurde.

Diese vergleichsweise traditionelle Form der Passion genügte Bach aber nicht als musikalischer Ausdruck seiner Gottesverehrung. Deswegen legte er 1727 seine „Matthäus-Passion“ noch wesentlich umfangreicher an. Als Notentext war das Werk bereits in Leipzig entstanden, blieb dem Anschein nach eine oratorische Passion, sprengte aber alle bisherigen Grenzen liturgischer Kompositionen dieser Art. Die Aufführung dauerte immerhin rund 3 Stunden, verteilt auf zwei Abschnitte vor und nach der Predigt. Der umfangreiche Bericht des Matthäus-Evangeliums wurde dafür um zahlreiche kontemplative Stücke aus der Feder des Librettisten Picander und weitere zusätzliche Choräle ergänzt. So entstand ein Konzentrat unterschiedlichster Formen und Stile der geistlichen und weltlichen Vokalmusik, die zur Zeit Bachs zum Inventar kunstvoller Klanggestaltung gehörten. Da gab es Rezitative, Ariosi, Arien, Chorsätze und Chorphantasien, Motetten-Sätze, mehrchörige Passagen und vieles mehr, das den Komponisten als herausragenden Gestalter opulenter Formen im Bewusstsein der Leipziger Bürger etablierte.

Für die 10CD-Box der Serie Eloquence wurde nun Bachs gewaltige Sakralwerke in ihren brillanten Interpretation durch Karl Richter und dessen Kreis in einem Rahmen versammelt. Dazu zählt auch jene berühmte Aufnahme aus dem Jahr 1961, als Richter sich mit seinen Ensembles in der Münchner Musikhochschule einfand, um die „Messe in h-moll BWV 232“ auf Bändern festzuhalten. Den Beteiligten gelang damals das Kunststück, mit enormer Temposicherheit das Gleichgewicht zwischen spiritueller Bedeutung und weltlicher Abstraktionskunst zu wahren. Bachs Experimente mit dem stimmlichen Umfang, die etwa im „Kyrie“ zu Beginn oder auch dem „Symbolum Nicenum“ bis an die Grenzen formaler Ausdrucksmöglichkeiten der barocken Klangtradition gehen, wurden von den Solisten wie auch den beiden Bach-Ensembles mit einer Sicherheit und Bestimmtheit nachvollzogen, die sich nur aus einer empathischen Werkkenntnis entwickeln ließ. Des weiteren wurden der Eloquence-Box noch Aufnahmen von Osterkantaten wie „Christ lag in Todesbanden, BWV 4“, „Bleib bei uns, denn es will Abend werden, BWV 6“ und „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen, BWV 12“ beigefügt. Neben dem Münchner Bach-Chor und dem Bach-Orchester wirken Koryphäen wie Evelyn Lear, Irmgard Seefried, Peter Schreier, Herrmann Prey und Dietrich Fischer-Dieskau als Vokalsolisten mit, so dass ein Zyklus von historischer Größe dokumentiert werden konnte, der nun zu einem unschlagbar günstigen Eloquence-Preis zu haben ist.

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