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Jonas Kaufmann im Interview

Jonas Kaufmann, c Regina Recht/Decca
13.02.2013
JONAS KAUFMANN ÜBER SEIN WAGNER-ALBUM

Im Gespräch mit Thomas Voigt

TV:Welche Bilder und Assoziationen verbinden Sie mit der Musik Richard Wagners?

JK: Vor allem ein vertrautes Bild aus meiner Kindheit: Mein Großvater sitzt am Klavier und spielt Wagner. Er war ein echter Wagnerianer, hatte von allen Wagneropern Klavierauszüge, und wenn er daraus spielte, sang er allen Partien mit, vom Hagen bis zur Brünnhilde. Da wir im gleichen Haus wohnten, gehörte Wagner quasi zu meinem Alltag; ich bin mit dieser Musik groß geworden, ich fand es faszinierend, in den Klavierauszügen meines Großvaters zu blättern. Das waren liebevoll gestaltete Ausgaben, schön illustriert mit alten Bühnenbildern und mit Übersicht der Leitmotive. Auf diese Weise lernte ich die Magie von Wagners Musik quasi spielerisch kennen. Von dort bis zu meiner ersten Wagner-Aufführung als Solist war es natürlich noch ein langer Weg. Aber die Begeisterung ist über all die Jahre nicht abgerissen, im Gegenteil: Je öfter ich mich mit dieser Musik befasse, desto mehr liebe ich sie.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Stücke für dieses Wagner-Album ausgesucht?

Die Grundidee war, einen Überblick über Wagners Entwicklung als Komponist zu bieten und mit den Feen zu beginnen. Das reizte mich schon deshalb, weil das die erste Wagner-Oper war, in der ich aufgetreten bin, als jüngstes Mitglied im Extrachor am Gärtnerplatztheater in München. Aber diese Idee habe ich nach dem Wiederhören der Feen wieder verworfen und entschieden, mit Rienzi anzufangen.

Von Rienzi bis Siegfried — das ist ein langer Weg, nicht nur in Wagners Schaffen, sondern auch in der Entwicklung eines Sängers.

Wohl wahr. Das ist eine ungeheure stilistische Bandbreite. Rienzis Gebet ist wie eine klassische italienische Arie aufgebaut, und man muss sich als Sänger ein Konzept überlegen, um diese Musik lebendig zu machen. Die Musik des Siegfried ist ein völlig anderer Stil, durchweg rezitativisch. Statt Arioso und Legato nun hauptsächlich Parlando. Und es sollte so selbstverständlich klingen wie gesprochene Sprache. Bitte nicht zu verwechseln mit dem, was George Bernard Shaw “Bayreuth bark” nannte, Bayreuther Gebell. Dieses Parlando muss immer aus der Musik entwickelt werden, es hat quasi einen einzigen riesigen Legatobogen über dem Text. Das erschließt sich nicht auf den ersten Blick, da muss man sich erst reinarbeiten.

Genau genommen enthält das Album nur zwei Stücke, die Sie bereits live gesungen haben: Den Schwert-Monolog aus Die Walküre und “Am stillen Herd” aus Die Meistersinger.

Alles andere war Neuland für mich, letztlich auch die Gralserzählung aus Lohengrin. Denn wir haben hier die vollständige zweistrophige Version aufgenommen, von der es eine sehr schöne alte Platte mit Franz Völker aus dem Jahr 1936 gibt. Zwar kann ich nachvollziehen, warum Wagner in letzter Minute die zweite Strophe gestrichen hat: Offenbar fürchtete er, dass die Konzentration im Publikum nachlassen könnte. Dennoch finde ich es schade, sie wegzulassen. Erstens erklärt sie einen wichtigen Teil der Handlung, und zweitens ist es sehr schöne Musik. Grund genug, diese “Urfassung” mit auf das Album zu nehmen.

Die Meistersinger haben Sie bisher nur in einer konzertanten Aufführung beim Edinburgh Festival gemacht, warum nicht längst schon auf der Bühne?


Wie das so ist im Leben: Wenn ich mal Zeit hatte, gab es keine passende Produktion und umgekehrt. Aber das Stück steht ganz oben auf der To-Do-Liste, die erste Bühnenproduktion wird sicher bald kommen. Ich höre schon den einen oder anderen unken: Ob er nach einem Schwergewicht wie Siegmund noch die Leichtigkeit für einen Stolzing hat? Dem kann ich entgegen halten, dass ich nach meinem ersten Siegmund als nächste Partie an der Met den Faust gesungen habe. Und nachdem das sehr gut gegangen ist, mache ich mir wegen Stolzing keine Sorgen.

Bezogen auf die Anforderungen an den Sänger: Was unterscheidet einen Siegmund von einem Stolzing und Lohengrin?

Vor allem die tiefe Lage. Siegmund liegt fast schon im Baritonbereich. Deshalb haben ja auch einige Baritone mit der Rolle geliebäugelt, und hin und wieder hat es auch einer gemacht, allen voran Ramón Vinay. Er hatte die stimmlichen Möglichkeiten vom Bassbariton bis zum Heldentenor und hat sie auch weidlich ausgenutzt. Dass nach langen Strecken in der Baritonlage immer wieder hoch liegende Phrasen kommen, macht die besondere Schwierigkeit der Partie aus. Und der 1. Akt hat es wirklich in sich. Es braucht sehr viel Energie, um über all die Erzählungen im Rezitativ-Stil bis zum “Duett” mit Sieglinde die Spannung zu halten.

Diesmal haben Sie nicht die “Winterstürme”, das populäre Highlight der Partie gewählt, sondern den Schwert-Monolog.
 
In diesem Monolog ist doch viel mehr enthalten, was die Figur des Siegmund charakterisiert: sein Leiden, sein Kämpfen, seine Hoffnung auf ein besseres Leben. Ein weiterer Ansporn waren natürlich die “Wälse”-Rufe. Hier hat Lauritz Melchior den Maßstab gesetzt, vor allem mit seinen
Live-Aufnahmen aus der Met. Seine “Wälse”-Rufe sind endlos lang und endlos groß, extrem beeindruckend für jeden Hörer und eine besondere Herausforderung für jeden Nachfolger.

Wie war Ihre erste Erfahrung mit dem Tannhäuser?

Überraschend gut! Als eher vorsichtiger Sänger habe ich bislang alle Angebote, die Partie auf der Bühne zu singen, ausgeschlagen. Deshalb war ich mir anfangs nicht sicher, ob ich die Romerzählung überhaupt aufnehmen sollte. Doch je länger ich mich mit dem Stück beschäftigte, desto mehr fand ich, dass ich stimmlich viel näher dran bin, als ich dachte. So wurde ausgerechnet das Stück, das mir anfangs Sorge machte, schließlich zum größten Fest bei den Aufnahmesitzungen. Diese Steigerung von Depression und Verzweiflung bis hin zur Ekstase, zur orgiastischen Venus-Musik — das reißt mich als Sänger genauso mit wie als Zuhörer. Nach dieser Erfahrung steht Tannhäuser ganz oben auf meiner Wunschliste.
 
Als überraschende Dreingabe gibt’s die Wesendonck-Lieder, von Wagner “für eine Frauenstimme” bestimmt.  

Aber im Text gibt es keinen einzigen Hinweis auf das Geschlecht des “Erzählers”, ganz im Gegensatz zu Schumanns Frauenliebe und -leben und Schuberts Winterreise. Und nachdem Männer die Frauenliebe und Frauen die Winterreise aufgenommen haben, sollte es doch kein Sakrileg sein, wenn ein Mann die Wesendonck-Lieder singt — zumal Wagner diese Texte von Mathilde Wesendonck ja teilweise auf sich bezogen hat, vor allem folgende Zeilen im “Treibhaus”:

Wohl ich weiß es, arme Pflanze:
ein Geschicke teilen wir;
ob umstrahlt von Licht und Glanze,
unsre Heimat ist nicht hier!

Das ist genau Wagners Situation in seinem Schweizer Exil. Es ging ihm objektiv gut, aber er fühlte sich nicht zu Hause. Wäre es da nicht nahe liegend, dass ein Mann das singt?

Jonas Kaufmann, Donald Runnicles und das Orchester der Deutschen Oper Berlin — hat es diese Kombination schon mal “live” gegeben?

Nein, es war unsere erste Zusammenarbeit, und ich hoffe, dass es nicht die letzte war. Es lief wunderbar, wir verstanden uns ohne große Erklärungen. Es war das erste Mal, dass ich für ein Opern-Album ein Orchester zur Seite hatte, das täglich Opern spielt. Damit will ich die Leistung der vorherigen Orchester um Gottes Willen nicht schmälern. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man sich vor Beginn einer Arie erst über den dramatischen Kontext einer Szene verständigen muss — oder ob die Musiker die Romerzählung aus dem 3. Akt Tannhäuser mit dem Wissen spielen, was im 1. und 2. Akt passiert ist. Wir waren von der ersten Note an in “Bühnenstimmung”, und das hat unglaublich geholfen. Ich war auch extrem positiv überrascht von der Akustik des Sendesaals im alten Ostberliner Rundfunkgebäude. Das liegt j.w.d., zwischen Treptow und Köpenick, aber die fantastische Akustik des Saales ist jeden Meter Taxifahrt wert: nicht so trocken wie in den meisten Studios und nicht so hallig wie in einem leeren Konzerthaus, sondern Konzertsaal-Akustik ohne Publikumsgeräusche in Studioqualität. Eine ideale Kombination. Ich hoffe sehr, dass es diesen Saal noch lange gibt, und dass ich dort noch öfters aufnehmen kann.

1/2013

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