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Der heimliche Hintersinn des Naiven

Jonas Kaufmann
14.10.2009
Man hat Wilhelm Müller oft eine vermeintliche Mittelmäßigkeit seiner Verse vorgeworfen, weshalb „Die schöne Müllerin“ gerne an zweite oder dritte Stelle hinter Liedzyklen wie die „Winterreise“ gestellt wird.  Für Jonas Kaufmann aber stellt sich die Situation durchaus differenzierter dar. „Ich denke, dass Schubert sehr wohl erkannt hat, dass diese scheinbare Schlichtheit der Texte dazu dient, die Fallhöhe zu steigern“, meint der Startenor aus München mit Blick auf die gesamte Dramaturgie des zwanzigteiligen Werkes. Und das macht auch den Reiz aus, sich der „schönen Müllerin“ zu widmen, vor allem wenn neben der Vielschichtigkeit des Oeuvres auch ein Mitstreiter wie der Pianist Helmut Deutsch an der Umsetzung feilt.

Natur war für die deutsche Romantik nicht einfach die Landschaft, die den Menschen umgab. Sie wurde vielmehr zu einem vieldeutigen Zeichensystem, das auf andere Bedeutungsfelder verwies. Mit Herder zu Beginn der Aufklärung wurde sie von der leidigen, gottgewollten Prüfung zu einer Art Projektionsraum für allerlei Utopien auf der einen Seite, aber auch zum Mittelpunkt der einsetzenden wissenschaftlichen Durchdringung bislang unverständlicher Phänome. Sie wurde zum Ideal ebenso wie zum Klischee und die sprießende Dichtkunst der Romantik fand dafür blumig poetische Worte. So auch Wilhelm Müller (1794–1827), der sich in jungen Jahren als Freiheitskämpfer in Griechenland profiliert hatte, im restaurativen Metternich-Europa aber anfing, sich in Idyllen zu flüchten. Sein Zyklus „Die schöne Müllerin“ von 1821 ist eine Sammlung, die Natürlichkeit behauptet, im Kern jedoch ein streng durchgeformter dichterischer Text ist, der Franz Schubert zu einer Vertonung inspirierte, die bis heute die gesangliche Spreu vom Weizen trennt.

Der besondere Reiz liegt in der Gegensätzlichkeit von poetischer Form und musikalischer Kunstfertigkeit. Müllers Gedichte suggerieren Naivität, die als Natürlichkeit gilt. Wenn er da reimt: „Ich hört ein Bächlein rauschen / wohl aus dem Felsenquell, / hinab zum Tale rauschen / so frisch und wunderhell. / Ich weiß nicht, wie mir wurde, / nicht, wer den Rat mir gab, / ich musste auch hinunter / Mit einem Wanderstab“, dann wird mit der gleichen Einfalt gespielt, die Eichendorffs „Taugenichts“ in der Wertung mancher Kritiker zu einem Urtyp des deutschen Naturells werden ließ. Auch Schubert, der 1824 mit seiner Vertonung des zwanzigteiligen Zyklus an die Öffentlichkeit trat, kokettierte mit diesen Assoziationen, die allerdings gegen Ende der Gedichte immer deutlicher mit den Möglichkeiten des Scheiterns und des Todes sich befassten (auch das ein typisches Motiv der Romantik). Für einen Sänger bedeutet das daher, dass er zum einen die Oberfläche des Naturburschen abbilden können muss, ohne damit lächerlich zu wirken, zum anderen aber mit möglichen ironischen und ernste Tiefenschichten konfrontiert ist, die aus dem Text und vor allem aus der Musik heraus eine vielschichtigere Deutung nahe legen.

Das wiederum ist ein Talent, das nicht viele Sänger haben oder hatten, und das nach Meinung von Jonas Kaufmann auch nur in eine spezielle Lebensphase passt: „Ich bin vor kurzem 40 geworden, und ich wollte diesen Zyklus aufnehmen, bevor es zu spät ist“, vertraute er dem Journalisten Thomas Voigt in einem Interview an. „Denn neben Schuberts ‘Dichterliebe’ ist es der Zyklus, der am meisten nach einer jungen Stimme verlangt – und auch nach einer junge Seele. Es geht hier ja um einen jungen Menschen, der frisch und fröhlich, völlig unbekümmert in die Welt hinauszieht – und dann mit voller Wucht ins Messer rennt. Seine unglückliche Liebe zur Müllerin ist seine erste schmerzvolle Erfahrung. Und damit diese ‘Unschuld’ einigermaßen glaubhaft wirkt, sollte der Interpret nicht allzu reif klingen“. Insofern ist der Zeitpunkt für diese Aufnahme perfekt gewählt. Denn was Jonas Kaufmann zusammen mit der erfahrenen Begleitung durch Helmut Deutsch bietet, ist pure Kraft und subtile Verzweiflung, rasante Könnerschaft und pointierte Interpretation. Da wird schnell klar, dass die „Müllerin“ mehr Dramatik und Intensität versteckt hält, als es auf den ersten Blick erschienen mag – und dass dieses Künstlergespann den Liedzyklus in ein bewegendes Musikerlebnis zu verwandeln vermag.
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