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Der besondere Williams

01.02.2006
Steven Spielberg ist immer auf der Suche nach den Urgründen menschlichen Verhaltens. Egal, welchen Film er dreht, im Mittelpunkt stehen die Auseinandersetzungen einzelner Individuen mit den Grenzen der Zivilisation. Während der vergangenen Monate hat er sich diesem Thema in zwei sehr unterschiedlichen Genres genähert. Im “Krieg der Welten” ließ er einen amerikanischen Durchschnittsbürger gegen das inkarnierte, unverständliche Böse aus einer anderen Welt antreten. Mit “München” nun kehrt er in die reale Historie zurück und erzählt auf seine Weise von den tragischen Ereignissen während der Olympischen Spiele 1972, die als Anfangspunkt des modernen, religiös und politisch fanatischen Terrors gelten. In beiden Fällen stand ihm John Williams als musikalischer Leiter zur Seite und hat den eindringlichen Bildern zum passenden Klangrahmen verholfen.
Steven Spielberg spart nicht mit Lob: “In der Welt der Filmmusik wird das Jahr 2005 als das besondere John Williams Jahr gelten. Unglaublich, aber John hat in diesen Monaten vier Soundtracks geschaffen: ‘Star Wars – Episode 3, Die Rache der Sith’, ‘Krieg der Welten’, ‘Die Geisha’ und ‘München’. Alle vier Musiken haben nur den Komponisten gemeinsam. Die Kompositionen könnten nicht verschiedener sein und das zeigt deutlich, was ich in meinen Liner Notes schon seit Jahren betone, nämlich dass John Williams ein Meister der Verwandlung ist. Von den unendlichen Weiten des Weltraums zur Nähe der irdischen Geschichte, von den speziellen Feinheiten der japanischen Kultur bis zu den finstersten Klängen, die er jemals geschrieben hat, um den Kollaps der Zivilisation zu begleiten, wurden die Fans der Filmmusik mit einer Art John Williams Konzert in vier Sätzen bedacht. Seine letzte Aufgabe 2005 war die Musik zu einem Film, der von den tragischen Ereignissen von 1972 bei den 20. Olympischen Spielen in München inspiriert wurde, als die Terrorgruppe Schwarzer September elf Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft entführte und ermordete. Für mich ist der zentrale Moment von Johns ‘München’-Soundtrack das Stück ‘A Prayer For Peace’, das die Geschichte dieser Tragödie zusammenfasst und zugleich aus tiefem Herzen das Andenken an die Sportler des israelischen Teams ehrt, die am 6. September 1972 umgebracht wurden”.

Und damit hat John Williams eine wichtige Funktion im künstlerischen Gefüge dieses viel diskutierten Films, der vor wenigen Tagen auch in den deutschen Kinos angelaufen ist. Denn Spielberg hat sich inhaltlich nicht mit den Anschuldigungen zufrieden gegeben, die den realen Ereignissen folgten. Es geht ihm, wie in allen seinen Filmen, nicht um Verurteilung oder Schwarz-Weiß-Malerei, sondern um die Offenlegung der Strukturen, die das Verhalten der Menschen in einer Ausnahmesituation prägen. Damit ist er letztlich einer der letzten Aufklärer des amerikanischen Kinos, der mit den Mitteln und der Kompetenz Hollywoods einen gut versteckten Humanismus transportiert, der die Zuschauer zu mehr Offenheit und Empathie führen soll. Und insofern passt es nahezu ideal, dass er in John Williams ein künstlerisches Alter Ego gefunden hat, das selbst zu den letzten großen Romantikern des Genres gehört. Williams' Musik kann Wagner’sche, aber auch Mahler’sche Dimensionen annehmen, sich aber ebenso auf kleine Motive zurückziehen, die eine Figur dezent leitmotivisch begleiten. Sie kann umfassen und freilassen, unterstützen und entgegenstehen, je nach den Erfordernissen der Handlung. Sie kann aber darüber hinaus auch für sich bestehen und in der Phantasie der Hörer eigene Imagination hervorrufen. Und so ist auch “München” einerseits ein Soundtrack, der im Wechsel von Emphase und Rücknahme die bewegenden Ereignisse auf der Leinwand sekundiert, auf der anderen Seite aber für sich als moderne Suite verstanden verstanden werden kann, die eine Vielzahl divergierender, inspirierender kultureller Klangimpulse in sich verarbeitet hat. Ein Glanzstück, so oder so.

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