Jacob Mühlrad | News | Das Gefühl des Unendlichen – Jacob Mühlrad mit überwältigender Chormusik

Das Gefühl des Unendlichen – Jacob Mühlrad mit überwältigender Chormusik

Jacob Mühlrad
© Pierre Björk
24.03.2021
Jacob Mühlrad zählt zu den größten Begabungen der jungen Komponistengeneration. Der 1991 in Stockholm geborene Künstler, habituell eine ausnehmend elegante Erscheinung, die bereits in der Modewelt für Aufsehen sorgte, hat sich auf dem internationalen Musikparkett mit stimmungsvollen Chorwerken einen Namen gemacht. Im Zentrum von Mühlrads Schaffen steht die Arbeit am Klang. Klang macht für den schwedischen Komponisten das Wesen der Musik aus. Mit Klängen können Stimmungen erzeugt werden. Klänge besitzen die Eigenschaft, Menschen zu verwandeln und ein Gefühl für Unendlichkeit zu wecken. Jacob Mühlrad bevorzugt meditative Stimmungen, die den Blick weiten. Er sieht solche Klangwelten bei Rappern wie Kanye West oder Drake nicht weniger verwirklicht als bei Avantgardisten der Kunstmusik wie Steve Reich oder Giacinto Scelsi. 
In seinen jungen Jahren wollte Jacob Mühlrad Rabbi werden und befasste sich eindringlich mit der Tora und der jüdischen Mystik. “Heute bin ich ein Nichtgläubiger”, bekennt er freimütig, “aber ich bin auf der Suche nach diesem Zustand, nach diesem Gefühl der Anwesenheit Gottes, das ich jetzt durch Musik erfahre.” 
Dass der göttliche Funke bei Jacob Mühlrad überspringt, hat der Komponist mit ergreifenden Chorwerken wie “Nigun” (2014), “Kaddish” (2017) oder “Time” (2018) bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Auf “Time”, seinem Debüt bei Deutsche Grammophon, präsentiert er jetzt eine Sammlung seiner wichtigsten Vokalkompositionen. Aufgenommen hat er das Album, das bereits für einen schwedischen Grammy nominiert ist, mit dem Swedish Radio Choir, unter Beteiligung der beiden Dirigenten Fredrik Malmberg und Ragnar Bohlin

Atemberaubend schön

Das Stimmungsspektrum des Albums reicht von stillen, erhabenen Atmosphären über sehnsuchtstrunkene Töne bis hin zu ekstatischen Momenten, wie zum Beispiel in “Anim Zemirot” (2012), Mühlrads frühestem Chorwerk, dessen emotionale Offenheit berührt. Die Chorsätze des jungen Schweden, dessen äußeres Erscheinungsbild frappierende Ähnlichkeiten mit der glamourösen Pop-Ikone Marc Bolan aufweist, sind von überwältigender Schönheit, und der Swedish Radio Choir interpretiert sie mit leidenschaftlicher Inbrunst.
Als Höhepunkte des Albums dürfen “Kaddish” und das titelgebende Werk “Time” gelten. “Time”, das an die Geschichte des Turmbaus zu Babel gemahnt, entfaltet sinfonische Kraft. Man spürt ein heftiges Aufbegehren in dem Stück. Der Komponist übersetzte sich das Wort “Time” in 104 verschiedene Sprachen, bevor er die Musik schrieb. Die Grenzen der Sprachen provozierten ihn. “Sie schufen einen Käfig, aus dem ich ausbrechen wollte”, charakterisiert Mühlrad seine Emotionen bei der Arbeit.    
Das intimste Werk des Albums ist “Kaddish”. Der Komponist begreift es als Dialog mit seinem Großvater, der ein Überlebender des Holocaust war. Die Arbeit vereint Textfragmente von Elie Wiesel mit Passagen aus dem traditionellen jüdischen Gebet Kaddish und Gedanken von Mühlrads Großvater, die einem familialen Video entlehnt sind. Die Musik ist von atemberaubender Dunkelheit. Aber auf eine seltsam magische Weise verströmt sie auch Hoffnung.

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