Komitas Vardapet (1869–1935) ist eine Schlüsselfigur der modernen klassischen Musik des Orients. Der Armenier war Priester, Komponist, Sänger, Musikpädagoge und -ethnologe, eine dieser besonderen Persönlichkeiten am Schnittpunkt der Diskurse, denen es gelang, durch systematische Forschung und Hinwendung zu regionalen Traditionen neue Wege des kulturellen Rezeption zu eröffnen. Zum Priester der armenisch-apostolischen Kirche geweiht und aufgrund seiner Intelligenz weitreichend gefördert, studierte er unter anderem Ästhetik und Musiktheorie in Tiflis und Berlin, bevor er 1899 mit Doktortitel in seine Heimat zurückkehrte.
Vardapet sammelte systematisch Werke der Volksmusik, davon rund 3000 Volkslieder der armenischen Überlieferung, die er akribisch für die Nachwelt festhielt. Darüber hinaus leitete er einen Männerchor und unterrichtete an seinem Seminar, was ihm wiederum die Möglichkeit gab, sich ausgiebig und aktiv mit der liturgischen Musik seiner Kirche zu beschäftigen. Bis zu seiner Deportation 1915 durch die Machthaber des Osmanischen Reiches schuf er zahlreiche Werke, die bis heute als Grundlage der armenischen Liturgie gelten. Ein Teil seiner Arbeit wurde zerstört und Komitas Vardapet selbst erholte sich nie mehr vollständig von den Erlebnissen der Deportation. Bis zu seinem Tod lebte zurückgezogen in einem französischen Sanatorium.
Komitas Vardapets Werke und seine Bearbeitungen mittelalterlicher Choräle beschäftigten die Sänger des Hilliard Ensembles bereits lange vor dem Erscheinen von “Officium Novum”. Das 2010 erschienene Album beruht auf diesen Forschungen und ist zugleich weit mehr ist als nur die Adaption eines faszinierenden spirituellen Werkes. Denn das gemeinsam mit Saxofonist Jan Garbarek und Produzent Manfred Eicher entwickelte Programm spannt den Bogen noch um einiges weiter. Er reicht von Arvo Pärts “Most Holy Mother Of God” bis hin zu Eigenkompositionen Jan Garbareks, von mittelalterlichen Chorälen eines Perotin bis hin zum Poem “Nur ein Weniges noch” von Giorgos Seferis, dem Schauspieler Bruno Ganz die Stimme leiht. Die Stücke sind um die zentralen Werke von Komitas Vardapet herum angeordnet.
“Officium Novum” wurde wie schon die Gemeinschaftswerke “Officium” und “Mnemosyne” in der Propstei St. Gerold aufgenommen, deren besondere Atmosphäre und Akustik zu den speziellen Klangzutaten der Musik des Hilliard Ensembles und Jan Garbareks gehören. Auf der Grundlage dieser räumlichen und konzeptuellen Vorgaben gelang es den Künstlern, die über die Jahre hinweg mit zahlreichen Konzerten bereits eine profunde gemeinsame Basis metasprachlicher Kommunikation entwickelt haben, in einer Art und Weise zu musizieren, die alle kulturellen Gegensätze hinter sich lässt. “Officium Novum” ist eine Form zeitloser und unabhängiger spiritueller Kunst, die neue Dimensionen des Hörens und des Erlebens eröffnet. Es bietet Kontemplation und Öffnung zugleich, in der Verbindung der Zeitalter, Spielweisen, Haltungen. Denn es ist ein Link in eine andere Welt von Komitas Vardapet, Armenien und Gott.
In diesem Player hören Sie Stücke aus den Alben, die in unsere Jubiläums-Serie vorgestellt worden sind: