Hector Berlioz | News | Der Zeit voraus

Der Zeit voraus

06.06.2007
Hector Berlioz war eine streitbare Persönlichkeit. Radikal in seinen künstlerischen Vorstellungen machte er es seinen Zeitgenossen nicht leicht, ihn zu verstehen. Auch seine Oper “Les Troyens” fällt unter dieses Kapitel der musikalischen Herausforderung, denn sie umfasste in ihrer Originalfassung wagnersche Ausmaße von rund vier Stunden Aufführungszeit. Das jedoch war man Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht gewohnt und so dauerte es ein weiteres Jahrhundert, bis das Werk in seinen Gesamtheit dem Publikum präsentiert wurde. Seitdem aber ist die Meinung nicht nur der Spezialisten einhellig positiv. Zu einem Feuerwerk der Begeisterung ließen sich gar die Kritiker hinreißen, als die Metropilitan Opera in New York zum Jubiläum ihrer 100.Spielzeit die Trojaner auf den Spielplan setzte, mit einer Starbesetzung von Jessye Norman bis Placido Domingo. Brian Large wiederum ließ es sich nicht nehmen, das Bühnenereignis mit der für ihn typischen Perfektion für die Nachwelt in Bild und Ton festzuhalten. So ist das DVD-Repertoire der Deutschen Grammophon nun um ein Schmuckstück reicher.
Zurück zu Hector Berlioz. Er hatte es sich zeit seines Lebens schwer gemacht. Am 11. Dezember 1803 im Städtchen La Côté-St-André (Isère) als Sohn eines Arztes geboren, sollte er ursprünglich Mediziner werden. Er schlug aber das Studium aus, wählte die unsichere Zukunft als Musiker, Komponist und brachte sich zunächst als Chorist am Théâtre de Nouveautés durch. Berlioz erwies sich als begabt, bekam 1830 den renommierten Rompreis verliehen und konnte auf diese Weise 18 Monate in Italien studieren. Während dieser Zeit konkretisierte er seine Idee der Programmmusik, die er bereits mit der “Symphonie Fantastique” als verklausuliertem Abbild der eigenen Künstlerbiographie formuliert hatte. Damit passte er nicht in das Schema des nachnapoléonischen Akademismus und auch die zur Akzeptanz durch das Bürgertum nötigen Opern wollten sich bis auf “Les Troyens” nicht recht ins übliche Muster fügen. Der erste Versuch mit dem Bühnengenre “Benvenuto Cellini” war 1838 vom Pariser Publikum vehement abgelehnt worden, so dass ihm die lukrativen Jobs an den Schauspielhäusern verwehrt blieben. Schließlich ging auch eine 1833 geschlossene Ehe den Bach hinunter, so dass der Komponist allen Grund zum Leiden hatten. Vor diesem Hintergrund entstand “Roméo et Juliette” als opulent gestaltete “Chorsymphonie”, der später mit ähnlichen Aufwand “Béatrice et Bénedict” (Uraufführung 1862) und “Les Troyens” (Uraufführung posthum 1890/1957 vollständig) folgten.
 
Mit den Trojanern hatte Berlioz sich viel vorgenommen. Denn der Komponist beschränkte sich nicht nur auf Ausschnitte der antiken Legendenwelt wie etwa die Eroberung Trojas, sondern führte die Geschichte zum Themenkomplex um Dido und Aeneas weiter und kombiniert auf diese Weise zwei Opernstoffe in einem monumentalen Stück. Das führte auch zu einem Überfluss an starken Figurencharakteren, opulenten Massenszenen und reichlich Tragik auf der Bühne, die dem französischen, vergnügungsbetonten Publikum des 19. Jahrhunderts mehr Aufmerksamkeit abverlangte, als es zu geben vermochte. Berlioz konnte daher zu Lebzeiten nur die Akte drei bis fünf selbst auf der Bühne erleben, das Geschehen in Troja blieb damals unaufgeführt, bis in die 1950er Jahre hinein. Erst dann wagte man sich am Covent Garden an das gesamte Werk, allerdings mit nachhaltigem Erfolg. Die amerikanische Premiere folgte 1972, an der Met wiederum befasste man sich seit den frühen Achtzigern vermehrt mit dem Werk. Es entstand eine für die Tradition des Hauses erstaunlich abstrakte Inszenierung durch Fabrizio Melano, die aber gerade durch die Reduktion der Ausstattung den Fokus auf die grandiose Musik zu lenken vermochte.
 
So fiel die Entscheidung leicht, “Les Troyen” auch auf den Spielplan des Jubiläumsjahres zu setzen, mit dem die Metropolitan Opera 1983 ihre 100. Spielzeit feierte. Alles wurde zu einem Triumph, denn die Gestalter dieses Bühnenspektakels konnten auf die besten Solisten zurückgreifen, die damals zur Verfügung standen. Jessye Norman sang eine faszinierend tragische Kassandra, Placido Domingo glänzte als zwischen Leidenschaft und Staatsräson hin- und her gerissener Aeneas und Tatiana Trojanos überzeugte als karthagische Königin Dido. Verfeinert durch James Levines Kunst der Orchesterleitung entwickelte sich eine Referenz-Version von “Les Troyens”, die der Opernfilmprofi Brian Large souverän mit den Kameras festgehalten hat und die im betörend vielfältigen Surround-Sound (wahlweise PCM Stereo) nun auf DVD auch außerhalb des New Yorker Traditionshauses zu erleben ist.

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