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Die andere Karmen

Goran Bregovic - Karmen (With A Happy End)
04.07.2007
“Inspiriert von” passt wohl am besten. Denn mit dem Original von George Bizet hat Goran Bregovics “Karmen” nur noch am Rande etwas zu tun. Das zeigt schon der schelmischen Titel-Appendix “with an happy End”. Aber das ist auch gut so. Zum einen braucht Bizets geniale Musik keine Bearbeitung, um in ihrer ganzen Schönheit zu erstrahlen. Und zum anderen hat Bregovic genügend eigene Kreativität zu bieten, um den Plot um die Fallgruben der Leidenschaft zu einer wildromantischen Balkan-Oper zu machen, einschließlich der typischen verwegenen Bläserkaskaden und komplexen rhythmischen Klangmuster.
Wäre der Krieg nicht gekommen, hätte Goran Bregovic sich wohlmöglich zur Ruhe gesetzt und sich fortan als Filmkomponist betätigt. Aber kurz nachdem er sich sein Häuschen an der damals noch jugoslawischen Adria gekauft hatte, brachen die alten Gegensätze auf dem Balkan auf und der Bürgerkrieg begann, das wunderschöne Land mit Gewalt und Verbrechen zu überziehen. Bregovic zog nach Paris, gemeinsam mit seinem langjährigen Kollegen, dem Filmregisseur Emir Kusturica, dem er kurz zuvor mit dem Soundtrack zu “Time of the Gypsies” zu einem Hit und wachsender Popularität verholfen hatte. Aus dem Plan, die Beine hoch zu legen wurde nichts, und der agile Komponist und Musiker machte aus den Not eine Tugend. Er intensivierte die Auftritte mit seiner vielköpfigen “Wedding and Funeral Band”, spielte mit dem Ensemble bis heute mehr als 700 Auftritte und festigte seine Ruf als Superstar des Balkans, den er sich in jungen Jahren erarbeitet hatte.

Denn Bregovic war bereits als Jugendlicher in eine Musikerkarriere gestartet, damals mit einer Band namens “Bijelo Dugme” (“Weißer Knopf”). Gegründet mehr aus Verlegenheit, denn aus wirklichen Erfolgsabsichten – später meinte der Sänger, Komponist und Gitarrist, er habe damit vor allem bei den Mädchen ankommen wollen – entwickelte sich die Combo im realsozialistischen Jugoslawien zur beliebtesten Band, verkaufte von ihren dreizehn Alben immerhin sechs Millionen Exemplare und wurde kräftige betrauert, als Bregovic mit vierzig kurz nach der Öffnung der Mauer andere Wege ging.
 
Die Fans jedenfalls lieben ihn noch immer und das merkt man auch bei heutigen Konzerten seiner “Wedding And Funeral Band”. Egal, wo das große Ensemble mit Streichern, Banda, Chor und Rocksektion antritt, die Fans machen seine Musik zu einem Fest. Kein Wunder, dass auch seine aktuelle Studioplatte “Karmen” von vielen mit Sehnsucht erwartet wird. Fünf Jahre hat er sich Zeit gelassen, hat seine Uminterpretation der leidenschaftlichen Geschichte um die Liebe und deren ursprüngliche Unmöglichkeit in zahlreichen Konzerten wie etwa einem knapp einmonatigen Gastspiel im Pariser “Cabaret Sauvage” ausprobiert und verfeinert, bis er sich damit vor die Mikrofone begab. Bizet jedenfalls trat völlig in den Hintergrund, stattdessen sind reichlich Brass Bands und Balkanrhythmen, mäandrierende Vokalisen und kräftige Beats zu hören.

Konzipiert ist das Programm als “Gypsy Opera” und verteilten Rollen mit der wunderbaren Kleopatra aka Karmen (Vaska Jankovska) im Mittelpunkt und komplex in fiktionale Ebenen von Spiel und Wirklichkeit verschränkt. Im Unterschied zur Originalhandlung allerdings mündet hier die Geschichte nicht in den Untergang der Protagonistin, sondern in ein rauschendes Hochzeitsfest, das alle miteinander feiern. Bregovic, der Schelm, entrümpelt auf diese Weise die (Moral)Ideen des 19. Jahrhunderts und formuliert sie zu einem modernen Märchen um, das kaum weniger farbenprächtig erscheint als die Carmen früherer Jahre. So ist ein Album entstanden, das humorvoll mit den Klischees von Gypsy-Kultur und Balkan Romantik, von Opernhandlung und Soap-Gegenwart spielt. Und nebenbei großartige Musik zu bieten hat.

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