Gidon Kremer | News | Von wehmütiger Melodik bis hin zu 12-Ton-Reihen - Gidon Kremer spielt Mieczysław Weinberg

Von wehmütiger Melodik bis hin zu 12-Ton-Reihen – Gidon Kremer spielt Mieczysław Weinberg

Das Album "Mieczyslaw Weinberg" von Gidon Kremer
© ECM Records
06.02.2014
Der polnisch-russische Komponist Mieczysław Weinberg findet erst allmählich die öffentliche Anerkennung, die ihm gebührt. Von seinem Freund und Mentor, dem bedeutenden russischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch, als einer der ganz Großen des 20. Jahrhunderts apostrophiert, musste sich Weinberg in seinem Leben gleichwohl jeden Meter Boden selbst erkämpfen.

Auf der Flucht

1919 in Warschau geboren, begann der begabte Junge bereits 1931 mit einem Klavier-Studium an der Musikakademie der polnischen Hauptstadt. Seine Pläne, die musikalischen Studien in den USA fortzusetzen, fanden jedoch mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ein jähes Ende. Weinberg floh vor den Nazis nach Minsk und nach dem Einmarsch der Deutschen in die Sowjetunion. 1943 in Moskau eingetroffen, bereitete man ihm auch hier keinen freundlichen Empfang. Man lehnte die modernistischen Aspekte seiner Musik ab, und bezichtigte ihn politisch eines “jüdischen bürgerlichen Nationalismus”. Weinberg kam unter Stalin ins Gefängnis und erst nach dessen Tod wieder frei.

Zwischen allen Stühlen

Diese biographischen Stationen im Hinterkopf, ist man erstaunt, wie viel Spielfreude und vergleichsweise Heiteres in Weinbergs Werk noch anklingt. Aber man hört auch den Schmerz seines Lebens aus seiner Musik heraus, die formal zwischen spätromantischer, fast sentimentaler Melodik und sich auflösenden Harmonien schwankt. Diese Musik steht, so wie ihr Schöpfer in seinem Leben, zwischen allen Stühlen. Den einen, die zum Experimentellen neigen, ist sie zu konservativ. Den anderen, tonal Geneigten ist sie zu modern. Dass jedoch gerade in dieser Mischform die Größe Mieczysław Weinbergs liegen könnte, demonstriert das bei ECM New Series erscheinende Doppelalbum mit Instrumentalwerken des Komponisten aufs Eindrücklichste.

Fulminanter Anfang

Das Album beginnt fulminant. Gidon Kremer, sicher einer der bedeutendsten Geiger der Gegenwart und stets missionarisch unterwegs im Dienste vernachlässigter Komponisten, interpretiert Weinbergs dritte Sonate für Violine solo op. 126 (1978). Dabei zaubert er Stimmungen und Farben hervor, wie sie auf einem einzigen Instrument schier unmöglich zu sein scheinen. Das Stück beginnt hektisch, fast gehetzt, und man denkt unwillkürlich an eine Flucht. Nach und nach verändert sich die Atmosphäre dann jedoch. Zunächst in Form eines einsamen, quälenden Wimmerns und Flehens der Violine, dann zu Gunsten gedämpfterer, langsamerer Melodien, die den Eindruck aufkommen lassen, als beruhige sich der Komponist allmählich. Später erklingen dann kindlich verspielte, tänzerische Passagen, die stark an Schostakowitsch erinnern. Aber auch diese lebhafteren Momente pendeln sich wieder ein, und es verfestigt sich der Eindruck, als spiele der Komponist so lange mit seinem schöpferischen Material, bis sich von selbst eine Art harmonischer Ruhe einstellt. Ein grandioses Stück Musik, das Gidon Kremer selbst übrigens auf eine Stufe mit Bartóks bedeutender Sonate für Violine solo (1944) stellt.

Melodienreich und modern

Auch die sich anschließende Kammermusik auf der ersten CD hat ihr eigenes, vielfarbiges Flair, von gefahrenvollen bis hin zu ruhigeren Momenten. Was dann aber auf der zweiten CD folgt, sprengt alle Erwartungen. Bekommt man Weinberg in seinem Concertino op. 42 (1948) noch in eher spätromantischer Manier zu hören, mit wunderschönen, fast sentimentalen Melodien auf einem warmen Klangteppich, so kann man in Sinfonie Nr. 10 op. 98 (1968) das harmonische Gerüst gleichsam in Echtzeit umstürzen und sich wieder aufrichten sehen. 12-Ton-Reihen und akkordische Momente gehen in diesem Werk eine erstaunliche Verbindung ein. Ein erregend modernes Werk und verbunden mit den auch darin anklingenden zarten Momenten ein ästhetischer Hochgenuss.

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