Emerson String Quartet | News | Der tschechische Weg

Der tschechische Weg

Emerson String Quartet © Mitch Jenkins / Deutsche Grammophon
04.03.2009
Verwunderung nach den ersten Tönen: Was ist das für Musik, so zeitlos und doch verblüffend aktuell? Welche Meister hat das Emerson String Quartet diesmal unter seine Fittiche genommen? Überraschung nach dem zweiten Blick auf die Hülle von „Intimate Letters". Es sind Aufnahmen von Leoš Janáček und Bohuslav Martinů, zwei Streichquartette und die „Three Madrigals for Violin and Viola", entstanden in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, wo zum einen die Abstraktion längst die Musikgeschichte durchdrungen hatte, auf der anderen Seite nach Farben und Stimmungen gesucht wurde, um dem schleichenden Abgesang des klassisch-romantischen Abendlandes etwas entgegen zu setzen.

Leoš Janáček war in manchem seiner Zeit voraus. Noch vor Bartók und Kodály beschäftigte er sich intensiv mit den Geheimnissen der Volksmusik und formte seine eigenen Werke unter anderem aus den Erkenntnissen, die er aus der Beobachtung der tschechischen Überlieferungen gewann. Den Durchbruch als international anerkannter Komponist schaffte er vergleichsweise spät im Alter von 49 Jahren, nachdem er seine Oper „Jenufa" vollendet und der Bühnenöffentlichkeit vorgestellt hatte. Kammermusik spielte erst in seinen letzten zwei Lebensjahrzehnten eine wichtige Rolle. Seine beiden Streichquartette allerdings waren dann gleich auf eine derart einprägsame Weise unkonventionell, dass sie sich zu Schlüsselwerken der europäischen Musik an der Schwelle von Spätromantik, Impressionismus und Expressionismus entwickelten.
Beide Quartette entstanden im Zusammenhang mit Leoš Janáčeks später leidenschaftlicher Liebe, die ihn mit der 38 Jahre jüngeren Kamila Stösslová verband. Und beide sind formal dadurch gekennzeichnet, dass sie sich weder an der Typologie des klassischen Quartetts, noch an den auflösenden, abstrahierenden Tendenzen der zeitgenössischen Moderne orientierten. Sie sind beide in sehr kurzen Zeiträumen von nur wenigen Wochen entstanden und verblüffen durch immense Emotionalität der Motivik. Das „1.Streichquartett". komponiert 1923, uraufgeführt am 17.Oktober 1924 in Prag durch das Böhmische Streichquartett, hat Leo Tolstojs Novelle „Die Kreuzersonate" als Inspiration, die Leoš Janáček bereits in einem inzwischen verschollenen früheren Klaviertrio verarbeitete. Folgt man der von ihm selbst betonten Deutung, dass er die arme, geschlagene und gequälte Frau der Erzählung im Sinn hatte, die der russische Dichter aus Eifersucht literarisch von ihrem Mann ermorden ließ, dann bildet der erste Satz die Exposition, der zweite die Peripetie, der dritte die Krise und der vierte das tragische Ende des Dramas.
Entsprechend emphatisch ist die Gestaltung der Motive, gerade einmal im ersten Satz noch an der Hauptsatzform orientiert, danach zunehmend freier in der Montage der Einzelteile. Das „2.Streichquartett" wiederum, komponiert 1928, uraufgeführt posthum am 11.September 1928 in Brünn durch das Mährische Streichquartett, trägt als Untertitel „Intime Briefe" („Intimate Letters") und wird konkret mit dem Gefühlsüberschwang des Komponisten zur Widmungsträgerin des Werks Stösslová in Beziehung gebracht. Noch deutlicher als der Vorgänger entfernt es sich von der klassischen Quartettform. Zwei rondoartige schnelle Sätze rahmen zwei langsame Pendants, die spontan wirkenden, impulsiven Motive präsentieren die Komposition als emotionale Tondichtung und markieren auf diese Weise auch die Sonderstellung des „2.Streichquartetts" in der Kammermusik des 20.Jahrhunderts.
Für ihr Programm „Intimate Letters" haben die vier Starmusiker des Emerson String Quartets schließlich noch eine weitere ungewöhnliche Komposition der tschechischen Musik in ihr Programm aufgenommen. Sie wählten jedoch keines der sieben Streichquartette von Bohuslav Martinů, sondern die selten eingespielten „Drei Madrigale für Geige und Viola", die Philip Setzer gemeinsam mit Lawrence Dutton interpretierte. Martinů, der im Unterschied zu seinem Vorgänger Leoš Janáček viel in der Welt unterwegs war, komponierte die drei Episoden im Jahr 1947 in New York für das Duo Joseph und Lillian Fuchs (die übrigens zu Duttons Lehrerinnen gehörte), ebenfalls frei, impulsiv in der Form des Renaissancehaften der historischen Vorlagen bis hin zu synkopierten, tanzhaften Wendungen im Finale, die im Ragtime der amerikanischen Tradition wurzeln. So entsteht mit „Intimate Letters" ein faszinierend kontrastreiches und emotional packendes Programm, das in Auswahl um Umsetzung den Ansprüchen eines Weltklasseensembles gerecht wird.

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