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Der Geist von Cadiz

27.02.2004
Im vorromantischen Zeitalter war es nichts Ehrenrühriges, Musik im Auftrag anderer zu schreiben. Der Künstler war noch nicht ausschließlich sich selbst verpflichtet, sondern fügte sich den Vorgaben der Dienstherren. Auch Joseph Haydn schrieb zahlreiche Werke für einen bestimmten Anlass, oft Messen, aber auch kammermusikalische Miniaturen. Ein besonders ungewöhnliches Projekt ging er um 1785 an, die “sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze, op. 51”.
Als 1801 eine Chorfassung des Werkes bei Breitkopf & Härtel verlegt wurde, erinnerte sich der Komponist an die besonderen Umstände von dessen Entstehung: “Es sind ungefähr fünfzehn Jahre, daß ich von einem Domherrn in Cadix ersucht wurde, eine Instrumentalmusik auf die Sieben Worte Jesu am Kreuze zu verfertigen. Man pflegte damals, alle Jahre während der Fastenzeit in der Hauptkirche zu Cadix ein Oratorium aufzuführen, zu dessen verstärkter Wirkung folgende Anstalten nicht wenig beytragen mußten. Die Wände, Fenster und Pfeiler der Kirche waren nehmlich mit schwarzem Tuche überzogen, und nur Eine, in der Mitte hängende große Lampe erleuchtete das heilige Dunkel. Zur Mittagsstunde wurden alle Thüren geschlossen; jetzt begann die Musik. Nach einem zweckmäßigen Vorspiele bestieg der Bischof die Kanzel, sprach eines der sieben Worte aus, und stellte eine Betrachtung darüber an. So wie sie geendigt war, stieg er von der Kanzel herab, und fiel knieend vor dem Altare nieder. Diese Pause wurde von der Musik ausgefüllt. Der Bischof betrat und verlies zum zweyten, drittenmale u.s.w. die Kanzel, und jedesmal fiel das Orchester nach dem Schlusse der Rede wieder ein. Dieser Darstellung mußte meine Composition angemessen seyn. Die Aufgabe, sieben Adagio’s, wovon jedes gegen zehn Minuten dauern sollte, aufeinander folgen zu lassen, ohne den Zuhörer zu ermüden, war keine von den leichtesten; und ich fand bald, daß ich mich an den vorgeschriebenen Zeitraum nicht binden konnte. Die Musik war ursprünglich ohne Text, und in dieser Gestalt ist sie auch gedruckt worden”.
 
Tatsächlich war die 1787 gedruckte Urfassung für Orchester geschrieben und wurde erst später für andere Besetzungen umgearbeitet. Das Autograph ist verschollen und auch von der Quartett-Version weiß man nicht sicher, ob sie vollständig von Haydn selbst erstellt wurde. Das New Yorker Emerson String Quartet hat sich daher ausführlich mit den vorliegenden Notentexten auseinander gesetzt und einige Details in Abstimmung mit den verschiedenen Varianten verändert. Das betrifft vor allem die Sonaten III, V und VI aber auch ein Zwischenspiel, das bislang ausschließlich in der Chorversion zu finden war und von den Musikern transkribiert und in den Werkzusammenhang der Quartett-Version aufgenommen wurde. So entsteht eine außergewöhnliche, längere Einspielung der “sieben letzten Worte”, die dem elegischen Charakter der gesamten Komposition durch die Hinzunahme der “Introduzione [II]: largo e cantabile” einen vorsichtig veränderten Charakter gibt. Zwar wird die ernste Dramaturgie des Gesamten nicht aufgehoben, aber doch behutsam zugunsten eines hoffnungsvollen Charakters neu gewichtet.
 
Denn für Eugene Drucker, der sich mit Philip Setzer gleichberechtigt die Position der ersten Geige des seit 1976 aktiven und internationale renommierten Ensembles teilt, ist klar: “Diese Arbeit, die Haydn unter jenen ungewöhnlichen Voraussetzungen geschaffen hat, ist in besonderer Weise original und eine seiner bedeutendsten instrumentalen Kompositionen”. Mit der Neuaufnahme der “sieben Worte”, die im Oktober und November 2002 in der American Academy of Arts an Letters stattfand, gibt das Emerson String Quartet den Hörern die Möglichkeit an die Hand, diesen Wert und diese Einschätzung auch über die Konzerte des Ensembles hinaus am heimischen Player nachvollziehen zu können.

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