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Psychedelische Grenzgänge – Scodanibbios Neuerfindung des Kontrabasses

Stefano Scodanibbio
© Sergio Rosini / ECM Records
11.10.2018
Abenteurer lassen sich nicht so schnell von ihrer Entdeckungslust abbringen. Wo andere die Suche längst aufgeben, wird es für sie erst richtig spannend. So muss auch Stefano Scodanibbio einen starken Willen besessen haben, als er seine lange Reise zu vollkommen neuen Klangkontinenten des Kontrabasses antrat.

Klangrevolutionen auf dem Kontrabass: Stefano Scodanibbio (1956–2012)

Die musikalischen Möglichkeiten des Instruments schienen im Großen und Ganzen ausgelotet. Experimente mit dem Ziel, neue Klangfelder zu erobern, mochten zwar eine bleibende Faszination ausüben, vernünftiger schien es aber, das bereits vorhandene Wissen über den Kontrabass zu vertiefen und bekannte Techniken zu verfeinern. Für Stefano Scodanibbio stellte dies keine Option dar. Der 1956 in dem mittelalterlichen Städtchen Macerata im Zentrum Italiens geborene Bassist konnte sich mit konventionellen Spieltechniken nicht zufrieden geben.
Es drängte ihn zu einer ausgiebigen Expedition in den Resonanzraum des Kontrabasses. Dabei stieß er auf Töne, die man zuvor kaum mit einem Kontrabass assoziiert hätte. Manches klang, als sei es elektronisch verstärkt und verdankte sich einer Rückkopplung während eines E-Gitarrensolos von Jimi Hendrix. Scodanibbios Experimente mit Oktav-Flageolett-Harmonien, die ihn zu immer rauschhafteren poetischen Höhenflügen anreizten, schrieben Musikgeschichte. Größen wie Brian Ferneyhough und Luigi Nono experimentierten auf diesem Feld weiter.      

“Ottetto”: Ein musikalisches Vermächtnis

Daniele Roccato lernte Stefano Scodanibbio im Jahre 2008 in Paris kennen, wo die beiden italienischen Bassisten auf demselben Festival auftraten. Scodanibbio spielte dort seine “Voyage That Never Ends”. “Für mich war das eine Offenbarung”, so Roccato im Booklet zu dem gerade bei ECM New Series erschienenen Album “Alisei”. “Die Performance eines Schamanen, der eine beispiellose Klangwelt hervorrief.” 2010 erfährt Roccato, dass Scodanibbio an der schweren Krankheit ALS leidet und nicht länger Kontrabass spielen kann.
Doch Scodanibbio hat noch eine Mission. Er möchte alle klanglichen Neuerungen, die er dem Kontrabass abringen konnte, in einem Werk bündeln. Er komponiert sein Oktett für acht Kontrabässe, und Roccato steht ihm dabei zur Seite und arbeitet an der Notierung mit. Jetzt erklingt dieses Werk, das als musikalisches Vermächtnis von Stefano Scodanibbio gelten kann, in einer Welterstveröffentlichung. Daniele Roccato hat es gemeinsam mit Ludus Gravis aufgenommen, dem Ensemble, das die befreundeten Bassisten gemeinsam gründeten.    

Psychedelische Grenzgänge: Daniele Roccato und Ludus Gravis    

Das Stück klingt wie ein Rausch. Es variiert zwischen psychedelisch anmutenden, poetisch suchenden und schroff-abweisenden Stimmungen. Auf gedehnte hohe Töne mit lyrischer Aura folgen knarrende Geräusche, die sich wie bohrende Nachfragen ausnehmen. Mehr als vierzig besondere Bass-Techniken verlangt das Werk, das durch seine schier unendliche Fülle an Klangfarben und Geräuschnuancen in Bann zu ziehen vermag.
Das gilt für die Solostücke des Albums, die Daniele Roccato in meditative, aber auch in jazzig-improvisatorisch anmutende Gefilde abtauchen lassen, nicht minder intensiv. Behutsam tastende Momente entfaltet schließlich “Da una certa nebbio” für zwei Kontrabässe. Wie das Oktett, so erklingt auch das Kontrabass-Duo auf dem Album von Daniele Roccato in einer Welterstveröffentlichung.   
 

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