Nach seinen beiden weltweit gefeierten “Universal Syncopations”-Alben beschwört Miroslav Vitous auf “Remembering Weather Report” nun den Improvisationsgeist seiner ehemaligen Band wieder herauf. Der tschechische Bassist, der 1970 eines der Gründungsmitglieder von Weather Report gewesen war, überraschte die Jazzwelt schon damals mit seinem emanzipierten Baßspiel. Zwischen 1971 und 1974 war er an der Aufnahme der bahnbrechenden Weather-Report-Aben “Weather Report”, “I Sing The Body Electric”, “Live In Tokyo”, “Sweetnighter” und “Mysterious Traveller” beteiligt und setzte mit seinem außergewöhnlich agilen Baßspiel zahlreiche Akzente. Der freie Dialog zwischen den Musikern und gleiche Rechte für alle Instrumente waren Schlüsselkomponenten der ursprünglichen musikalischen Philosophie dieser Band.
Genau daran knüpft Vitous nun mit seinem neuen Ensemble an. Seine Originalität beweist er dabei schon dadurch, daß er – entgegen aller Erwartungen bei einem solchen Projekt – keine einzige Weather-Report-Nummer ins Programm nahm. Stattdessen bietet er eigene Stücke, die er seinen ehemaligen Weather-Report-Kollegen Wayne Shorter und Joe Zawinul widmete (wobei er, im ersteren Fall, Shorters Klassikere “Nefertiti” zitiert). Außerdem erkundet er eine Reihe von Variationen über Ornette Colemans “Lonely Woman”, spekuliert darüber, wie wohl ein musikalisches Treffen zwischen dem böhmischen Klassikkomponisten Antonín Dvořák und Miles Davis verlaufen wäre, und improvisiert über ein Bluesthema. Und auch in einem weiteren Punkt unterscheidet sich diese Musik deutlich von der des Vorbilds: während Weather Report Anfang der 70er Jahre mit elektrisch verstärktem Instrumentarium spielte, benutzt Vitous nun bei seiner Hommage an die Band ausschließlich akustische Instrumente. Darüber hinaus verzichtete der Bassist auf einen Keyboarder und holte an seiner Stelle einen Trompeter ins Ensemble.
Miroslav Vitous begann seine einzigartige künstlerische Laufbahn in den 60er Jahren. 1947 in Prag geboren, verzeichnete er schon als Teenager im Trio mit dem Pianisten Jan Hammer und seinem Schlagzeug spielenden Bruder Alan erste Erfolge. Durch ein Stipendium für das Berklee College gelangte er in die USA, wo sich aufgrund seines Zusammenspiels mit Größen wie Miles Davis, Chick Corea, Stan Getz und Herbie Mann schnell in der modernen Jazzszene etablieren konnte. Bereits 1967 war er eine ihrer zentralen Figuren.
Für ECM ging er erstmals 1978 ins Studio, um an der Seite von Terje Rypdal und Jack DeJohnette ein namenloses Album (ECM 1125) aufzunehmen, das 2008 in der Reihe “ECM Touchstones” wiederveröffentlicht wurde. Mit eigenen Bands (beseztzt mit Musikern wie dem britischen Saxophonisten John Surman, den Pianisten Kenny Kirkland und John Taylor sowie dem norwegischen Schlagzeuger Jon Christensen) nahm er danach für ECM die Alben “First Meeting” (1979), “Miroslav Vitous Group” (1980) und “Journey’s End” (1982) auf. Anfang der1980er bildete er auch ein Trio mit Chick Corea und Roy Haynes, das für ECM die beiden Alben “Trio Music” (1981) und “Trio Music Live In Europe” (1984) einspielte. 1985 nahm er für das Münchner Jazzlabel außerdem das faszinierende Baßsoloalbum “Emergence” auf. In den 1990ern konnte man Vitous auf den Alben “Atmos” und “Star” in Duo- und Trio-Kontexten mit Jan Garbarek und Peter Erskine hören. Dann nahm der Bassist eine Auszeit, um eine Software mit Sinfonieorchester-Samples zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. 2003 meldete er sich mit dem ECM-Album “Universal Syncopations” zurück, dem 2007 “Universal Syncopations II” folgte. Letzteres wurde mit dem Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet.
Von 1982 bis 1988 unterrichtete Vitous am renommierten New England Conservatory in Boston, dessen Jazzabteilung er drei Jahre leitete. Dann kehrte er nach Europa zurück. Momentan lebt er in Norditalien, wo er in der Nähe von Turin ein eigenes Tonstudio Universal Syncopation Studios unterhält. Dort war Vitous zwischen Herbst 2006 und Frühjahr 2007 gleich in vier Funktionen an der Aufnahme on “Remembering Weather Report” beteiligt: als Komponist, Bassist, Toningenieur und Produzent.
In der Band, mit der er “Remembering Weather Report” aufnahm, präsentiert Vitous mit Schlagzeuger Gerald Cleaver und Tenorsaxophonist zwei US-Amerikaner und mit dem Trompeter Franco Ambrosetti einen Schweizer. Bei drei Stücken gesellt sich außerdem noch der französische Klarinettist Michel Portal hinzu.
“Dieses Album soll daran erinnern, daß diese Art zu spielen, die damals entdeckt wurde, nur ein Vorgeschmack auf die Musik war, die erst in der Zukunft vollkommen verwirklicht werden sollte”, sagt Miroslav Vitous. “Jetzt ist es an der Zeit diese Musik in den Vordergrund zu rücken: wenn man musikalische Freiheit und ein universelles Konzept von Gleichberechtigung erreichen möchte, kann man keinen anderen Weg einschlagen.”