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Jahresrückblick 2019 – ECM New Series

ECM New Series
© ECM
11.12.2019
2019 war ein besonderes Jahr für ECM. Das Münchener Label feierte seinen 50. Geburtstag. Am 24. November 1969 wurde mit “Free At Last” von dem US-amerikanischen Jazzpianisten Mal Waldron das erste Album der legendären Plattenfirma aufgenommen. Aus dem Rückblick betrachtet wirkt der Titel des Pilotprojekts wie ein Motto der gesamten Unternehmung des Münchener Produzenten Manfred Eicher. “Free At Last” sind Worte aus einem Spiritual, das durch Martin Luther King Berühmtheit erlangte. Der schwarze Bürgerrechtler und Baptistenprediger rief in einer geschichtsträchtigen Rede von 1963, in der er seinen emanzipatorischen Traum beschwor, die Worte aus: “Free at last, Free at last. Thank God almighty we are free at last.” Die Versuchung, hierin ausschließlich eine politische Freiheit zu erblicken, ist vor dem besagten historischen Hintergrund groß. Aber es ging bei den Worten auch um eine spirituelle Freiheit, die die Sorgen und Nöte des Alltags transzendiert und neue Räume öffnet.   
Spirituelle Dimensionen der Musik
Was mit jener Freiheit gemeint ist, erschöpft sich nicht in Gesetzestexten. Es braucht, um erfahrbar zu werden, fluide Medien wie Musik oder Film. Der Journalist Bernd Künzig hat in einem gerade ausgestrahlten SWR2-Special zum 50-jährigen Bestehen von ECM auf “das spirituelle Profil” des Münchener Labels hingewiesen. Mit Blick auf die ECM New Series identifiziert er die “Suche nach Transzendenz” als eines der entscheidenden Motive in der musikalischen Programmatik von Manfred Eicher. Der Münchener Produzent rief die New Series im Jahre 1984 als Sublabel seines Unternehmens ins Leben. Konkreter Anlass war die Veröffentlichung von Arvo Pärts Album “Tabula Rasa”, dass Kultstatus in der Geschichte von ECM New Series erlangen sollte. “Tabula Rasa” kommt für das Sublabel eine ähnlich starke Bedeutung zu wie das “Köln Concert” von Keith Jarrett für das Stammlabel. Der US-amerikanische Jazzpianist war es denn auch, der das suggestivste und bekannteste Stück von “Tabula Rasa”, Pärts winterlich-melancholische Klangpoesie “Fratres”, gemeinsam mit dem lettischen Geigenvirtuosen Gidon Kremer einspielte. Der vielseitige Pianist aus Allentown in Pennsylvania kann neben dem norwegischen Saxophonisten Jan Garbarek als einer der entscheidenden Brückenbauer zwischen der Jazz-Tradition von ECM und dem Feld der notierten Musik, das Eicher mit der New Series betrat, gelten. 
Mannigfaltiges Programm
Mit Keith Jarrett und Jan Garbarek tauchten im diesjährigen New Series-Programm zwei alte Vorreiter des Stammlabels wieder auf. Keith Jarrett legte 2019 ein wegweisendes Live-Album mit Bachs Wohltemperiertem Klavier (Buch I) vor. Jan Garbarek veröffentlichte zusammen mit dem Hilliard Ensemble einen Live-Mitschnitt, der ihr gemeinsames Officium-Projekt zu neuem Leben erweckte: Noch einmal ist der norwegische Saxophonist darauf mit seinen poetischen Improvisationen zu den schwebenden Gesängen des britischen Vokalquartetts zu erleben. Als eigenwillige Komponisten für Neue Musik, die ECM zu seiner Künstlerfamilie rechnen darf, können Eleni Karaindrou, Heinz Holliger und György Kurtág gelten. Alle drei traten 2019 mit neuen New Series-Alben hervor. Exemplarisch für die Perfektionierung des kammermusikalischen Ideals, das ECM von Beginn seines Bestehens an kultivierte, standen im diesjährigen Programm die hochgespannten Alben des Danish String Quartet und des Schweizer Klarinettisten Reto Bieri mit dem finnischen Ensemble Meta 4. Die Publikation der Soloalben des ungarisch stämmigen Grandseigneurs der Klavierkunst Andras Schiff und der jungen russischen Klaviervirtuosin Anna Guarani untermauern last but not least den Anspruch auf ein mannigfaltiges Programm, dem die New Series im Jahre 2019 mit einem breiten Klangspektrum aus barocker, klassischer, romantischer und zeitgenössischer Musik Nachdruck verlieh. 
Entsprechend vielschichtig fielen die Pressereaktionen auf New Series-Veröffentlichungen aus. Das Augenmerk lag nicht so sehr auf dem schon oft beschworenen, stille Nachdenklichkeit und meditative Stimmungen evozierenden ECM Sound, sondern mehr noch auf der frappierenden Mannigfaltigkeit des Programms:  
 
The Hilliard Ensemble und Jan Garbarek: Officium live
Die Zusammenarbeit des Hilliard Ensembles mit dem norwegischen Jazzmusiker Jan Garbarek ist für die Geschichte der New Series von exemplarischer Bedeutung. Mit kaum einem anderen musikalischen Vorhaben hat das Münchener Label so grundstürzend an den Grenzen zwischen Tradition und Moderne, Klassik und Jazz, improvisierter und notierter Musik gerüttelt. Manfred Eicher brachte das für seine Interpretationen alter Vokalmusik und moderner Komponisten wie Arvo Pärt oder John Cage bekannte Hilliard Ensemble im Jahre 1993 mit dem norwegischen Saxophonisten zusammen. Ein Jahr später erschien bereits “Officium”, auf dem Jan Garbarek in gefühlvollen Saxophon-Improvisationen über von den Hilliards gesungene mittelalterliche und frühneuzeitliche Motteten zu erleben war. Dem Album war ein Welterfolg beschieden, und mit “Mnemosyne” (1999) und “Offizium Novum” (2010) erfuhr das Projekt seine bis ins zeitgenössische Repertoire vordringende, vertiefende Fortsetzung. 2014 löste das Hilliard Ensemble sich auf, so dass keine weitere Veröffentlichung des Officium-Projekts mehr zu erwarten war. Bis, ja bis in diesem Jahr ganz unverhofft ein neues Album der Gruppe erschien. “Das ist die ultimative Aufnahme ihrer Zusammenarbeit”, zeigt sich All About Jazz von dem Live-Album beeindruckt. Ein “reiches musikalisches Panorama”, so die Libération aus Paris. “Das Album ist ein tief bewegendes und überaus willkommenes Dokument der mehr als eintausend Konzerte, die diese Gruppe in zwanzig gemeinsamen Jahren in Kirchen, Klöstern und ähnlichen Orten gab”, begrüßt das Onlineportal Nordische Musik die Erscheinung von “Remember me, my dear”. Die Zeitschrift Stereoplay widmet sich dem Repertoire des Albums und den Vorzügen der langen Kooperation des fünfköpfigen Ensembles: Das Repertoire sei enorm breit. Es erstrecke sich “von Originals über Arvo Pärt bis zu Pérotin und Hildegard von Bingen, gestalterisch über zwei Jahrzehnte perfektioniert und klanglich mit den Möglichkeiten der Weite und Präsenz spielend”. Der Observer aus London richtet den Blick auf die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten von Jan Garbarek, dessen Spiel “manchmal beschwingt”, manchmal aber auch “wie der gebieterische Ruf eines Schofarhorns” klinge.  
Eleni Karaindrou: Filmische Klangpoesie der Zuversicht
Eleni Karaindrou zählt zu den wichtigsten Filmkomponistinnen der Gegenwart. Die griechische Künstlerin arbeitet seit über dreißig Jahren mit ECM zusammen, das durch die Kooperation mit dem französisch-schweizerischen Filmemacher Jean-Luc Godard und den filmischen Leidenschaften von Manfred Eicher seit jeher eine enge Beziehung zum Medium der bewegten Bilder unterhält. Karaindrou schuf mit Alben wie “Music for Films” (1991) oder “Concert in Athens” (2013) Meilensteine der zeitgenössischen Filmmusikkunst. In ihrer neuesten Veröffentlichung schlägt die kontemplativ gestimmte Komponistin, um die es nach dem Tod ihres wichtigsten Kooperationspartners, dem Filmemacher Theo Angelopoulos, zeitweilig still geworden war, lyrische Töne einer tastenden Zuversicht an. Das Album kombiniert ihre Bühnenmusik zu dem Theaterstück “Tous des oiseaux” (2007) von Wajdi Mouawad mit ihrem Score zu dem Film “Bomb, A Love Story” (2018) von Peyman Moadi. Die beiden dramatischen Stoffe eint, dass sie vor dem Hintergrund düsterer politischer Szenarien menschliche Schicksale mit all ihren Höhen und Tiefen greifbar machen. “Dieses Gefühl, so nah am Leben zu sein, das dennoch flüchtig und unergründlich bleibt, ist atemberaubend”, so die Zeitung Hill Rag aus Washington D.C. über die Musik, die ein “echtes Gespür für dramatisches Erzählen” offenbare. Karaindrou erzeuge “Stimmungen von Zerbrechlichkeit und Sehnsucht”, zeigt sich das Kultur- und Musikportal Kultkomplott von der psychologischen Wirkung der Kompositionen beeindruckt. “Über alle Grenzen hinweg ist dies die Musik der Stunde”, befindet das Klassikmagazin Crescendo, das den Kompositionen auch ohne die Kenntnis des Films und des Theaterstücks eine starke Wirkmacht zuschreibt: “Als reines Hörerlebnis bedarf ihre Musik keines anderen Podiums als das der inneren Bilder.” 
Heinz Holliger: Zwiegespräche mit György Kurtág
Am 21. Mai 2019 feierte Heinz Holliger seinen 80. Geburtstag. Aus diesem Anlass erschien ein neues Album des Schweizer Oboisten und Komponisten. Gemeinsam mit seinem musikalischen Weggefährten György Kurtág realisiert, legt es den Schwerpunkt auf Werke für die Oboe der beiden Komponisten. Als besonderes Ereignis des Albums muss die Stimme des großen Avantgarde-Dichters Philippe Jaccottet gelten, der Holliger maßgeblich zu seiner Sequenz "Airs” (2015/6) inspirierte. Es sei “ergreifend”, urteilt die Revue Musicale de Suisse Romande, “den neunzigjährigen Philippe Jaccottet sieben Gedichte aus seiner Sammlung ‚Airs' rezitieren zu hören”. “Die CD quillt fast über vor Tracks (37) und Beziehungsreichtum”, ist die Neue Zeitschrift für Musik von dem musikalischen Quantum und der programmatischen Anlage des Albums beeindruckt: “Kurtág und Holliger ehren und kommentieren einander, wobei ein Netz von Korrespondenzen, oberirdischen und rhizomatischen, für eine unanfechtbare Dramaturgie sorgt.” Le Monde wirft ein Schlaglicht auf den feinen Unterschied der beiden Komponisten: “Der Ungar in einer oft finsteren Perspektive und der Schweizer in einer poetisch-kontemplativen.” Dagegen betont das Klassik- und Jazzmagazin Rondo die “Klangseelenverwandtschaft” der beiden Komponisten, deren “musikalische Identitäten” in ihrer “ungemein magisch ausschwingenden und nicht selten ins poetisch Zarte umschlagenden Tonsprache” bisweilen verschwömmen. Die Musikzeitschrift Fono Forum würdigt den Schweizer Komponisten als Oboisten: “Heinz Holliger spielt all diese Kleinode mit einer Präsenz und Dringlichkeit, die unter die Haut geht […].” Die Schweizer Musikzeitung hebt auf die Widmungen und emotionalen Stimmungen der Stücke ab: “Oft handelt es sich um Erinnerungen an Verstorbene, Hommages an Freunde, Reminiszenzen an die Musikgeschichte, sehr berührend, zurufend, nachrufend, beschwörend, klagend, mal in zarten, mal in dunklen Farben, im Spiel von Holliger und Marie-Lise Schüpbach auf Oboe und/oder Englischhorn, und zumal, wenn Ernesto Molinaris Kontrabassklarinette hinzutritt.” 
Anna Gourari: Ein Maximum an pianistischer Offenheit
Die russische Pianistin Anna Gourari verbindet auf ihrem dritten ECM-Album avantgardistische Klavierwerke von Alfred Schnittke, Giya Kancheli, Rodion Shchedrin, Arvo Pärt und Wolfgang Rihm mit Vivaldi- und Marcello-Transkriptionen von Johann Sebastian Bach. Die Süddeutsche Zeitung erblickt den Zusammenhang des bunten Programms in der Stimmung des Repertoires, die der Rezensent mit den Worten “melancholische Traumbilder der Langsamkeit” umschreibt. Fono Forum sieht in der Pianistin die Gestalterin der musikalischen Vernetzung des weit auseinanderliegenden Repertoires: “Mit feinem Linienspiel, einer hochkonzentrierten Ausgestaltung der dynamischen Skala und einer rhetorisch eindringlichen Spielweise gelingt es Anna Gourari, die verschiedenen Sphären miteinander kommunizierend zu verbinden.” Die Gazzetta di Parma kann, allen verschatteten Tendenzen des Albums zum Trotz, dessen tröstende Dimension nicht übersehen: “Eine unerwartete und überraschende Variation von Arvo Pärt, ein leuchtender Gesang führt uns aus der Dunkelheit heraus.” Der Bayerische Rundfunk befasst sich mit dem Stil der Pianistin: “Gläsern, sphärisch, zerbrechlich. Dazu kommt eine fast meditative Spielhaltung.” Wer die Pianistin verstehen will, mahnt schließlich Res Musica an, benötige ein Maximum an Offenheit: Man müsse “alles vergessen, um in das Universum von Anna Gourari einzutreten”.   
András Schiff: “Melancholische Cantabilità” – Schubert auf dem Hammerklavier
2015 veröffentlichte er sein erstes Album mit Schubert-Interpretationen auf dem Fortepiano. 2019 hat er seine Entdeckungsreise in frühromantische Klanggefilde fortgesetzt und widmete sich erneut Schuberts frappierend modernen Spätwerken auf dem Hammerklavier. András Schiff, vom BBC Music Magazine als “einer der großartigsten Schubertianer” unserer Zeit bezeichnet, spielt ein um 1820 in Wien gefertigtes Fortepiano von Franz Brodmann. Das historische Instrument besitzt aus Sicht des Pianisten “etwas ganz Wienerisches in seinem Timbre, seiner zarten Sanftheit, seiner melancholischen Cantabilità”. Für den Guardian aus London erweitert der Brodmann unsere “Klangwelt in einer Art und Weise, die vielen Passagen in Schuberts Klavierwerk eine neue Bedeutung” verleihe. Schiff spiele, erläutert Stereoplay die klanglichen Besonderheiten des Brodmann, “ein ideales Instrument für seine ingeniöse Gestaltungskunst: markant im Bass, gesanglich und im forte durchaus scharf im Diskant, fein zeichnend in der Mittellage”. Dem Independent aus London kommt die “klangliche Pracht” eines Steinways nach Schiffs Album “plötzlich vollkommen unangemessen” für Schubert vor. Die Gewöhnung an den Klang mag eine Weile dauern, aber wem die Annäherung gelinge, “der könnte sich”, ist das britische Klassikmagazin Gramophone überzeugt, “zu Tränen gerührt sehen und möchte vielleicht für immer von einer solchen Aura umgeben sein”. Die französische Musikzeitschrift Diapason hebt die historische Komponente des Albums hervor, das “eine Idee des Stils” vermittle, den Schubert “in seiner Epoche” gepflegt haben könnte. Schiff betrete, verfolgt Fono Forum eine ähnliche historische Spur, “eine zauberhafte, verlorene Klangwelt”.
Keith Jarrett: Cool durchs Wohltemperiere Klavier
Der US-amerikanische Pianist Keith Jarrett hat sich als Jazz-Improvisator und als Klassik-Interpret einen Namen gemacht. Im Jazz pflegt er eine exzentrische Spielweise, während er sich bei klassischen Programmen als Person eher zurücknimmt. Das gilt vor allem für seine an der Aufhellung des musikalischen Prozesses interessierten Bach-Interpretationen, in denen er das zuhörende Spielen und die meditative Reduktion auf die Spitze treibt. Im März 1987 trat Jarrett, kurz nachdem er seine Studioaufnahmen des ersten Teils von Bachs Wohltemperiertem Klavier beendet hatte, mit demselben Werk live in New York auf. Dieses Jahr ist in der New Series nun ein Live-Mitschnitt des denkwürdigen Recitals erschienen. Der Observer beschwört die “Energie der Aufführung” und die “wunderbar klare, reine Akustik” des Mitschnitts. Jazz Weekly macht bei einigen Themen “ein Tanzgefühl” ausfindig, “das, ohne von der Schönheit abzulenken, Modernität aufscheinen” lasse. Jede “Fuge entfaltet sich wie ein wogender Gesang”, urteilt das französische Klaviermagazin Pianiste über die kantable Qualität von Jarretts Spiel. “Technisch perfekt”, ist das Offbeat Magazine überzeugt, “aber nicht wie Gould, zielt Jarretts Lesart ohne Schnörkel direkt auf Bach.” “Es handelt sich um eine poetische Spielweise”, macht das BBC Music Magazine geltend, während das Gewandhaus-Magazin den Blick auf die erstaunlichen “Farbschattierungen” und “aparten Anschlagsnuancen” des Pianisten lenkt. “'Heilignüchtern', hätte Hölderlin emphatisch ausgerufen.”  
Reto Bieri und Meta 4: Ästhetik des allmählichen Verklingens
Der Schweizer Klarinettist Reto Bieri hat 2019 ein ECM-Album veröffentlicht, das dem Phänomen des allmählichen Verklingens von Musik nachgeht. Im Zentrum seines gemeinsam mit dem finnischen Streichquartett Meta 4 verwirklichten Aufnahmeprojekts steht das Klarinettenquintett in h-Moll von Johannes Brahms. Dem umdüsterten Spätwerk des deutschen Romantikers hat Reto Bieri Gérard Pessons “Nebenstück” (1998) und Salvatore Sciarrinos “Let Me Die Before I Wake” (1982) an die Seite gestellt, gleichfalls todestrunken anmutende Klangpoesien, die auf je unterschiedliche Weise Motive von Brahms aufgreifen. Die Neue Musikzeitung erblickt in dem Spätwerk von Brahms “ein Stück Psychoanalyse in Musik” und attestiert dem Klarinettisten, eine “exemplarische Verknüpfung musikalischer Endzeitassoziationen” auf seinem Album geschaffen zu haben. “[…] ein Brahms im Dämmerschein”, charakterisiert Le Monde die schemenhaften Bildassoziationen, die Reto Bieri mit seiner Klarinette hervorzurufen vermag. Dem Rezensenten des belgischen Standaard erscheinen die Klänge in Sciarrinos Werk für Klarinette solo “wie Gespenster”, als ob “die Töne in mehreren Stimmen aus der Klarinette herausstolperten”. Der Musikblog The Classic Review sieht das Album “nicht von übertriebener Tragik, sondern von ruhiger Gelassenheit” durchwirkt. “Mit dem zauberhaft hingehauchten und hingetupften ‘Nebenstück’ verklingt das Ganze schließlich im Nichts”, sucht Fono Forum, das die “dynamische Vielfalt” des finnischen Streichquartetts Meta 4 lobt, die atmosphärische Wirkung von Pessons dunklem Werk zu fassen.
Danish String Quartet: Beethovens Modernität – Prism II
Manfred Eicher hat in einer Randbemerkung gegenüber dem Tagesspiegel einmal auf die besondere Bedeutung von Beethovens späten Streichquartetten für seine persönliche Entwicklung hingewiesen. In einer “schwierigen Jugend” seien Werke wie diese für ihn prägende Erfahrungen gewesen. Musik als befreiendes Moment. “Free at last”! Jedenfalls muss es eine besondere Bewandtnis damit haben, dass der Münchener Produzent gemeinsam mit dem Danish String Quartet eine fünfteilige Reihe mit Beethovens ebenso abschiedlich wie freiheitlich gestimmten Streichquartetten aufgelegt hat. Das Grammy-nominierte Projekt trägt den Titel Prism. Jedes Album kombiniert eines der späten Streichquartette Beethovens mit einer stimmungsmäßig passenden Bach-Fuge und einem modernen Werk der Quartett-Literatur. 2019 erschien Prism II mit Schnittkes Streichquartett Nr. 3, Bachs Fuge in h-Moll aus dem ersten Teil des Wohltemperierten Klaviers in dem Quartett-Arrangement von Emanuel Aloys Förster und Beethovens kühnem Streichquartett Nr. 13 in B-Dur (op. 130), die abschließende “Große Fuge” (op. 133) mit eingeschlossen. Fono Forum zeigt sich von der “Flexibilität im Klang” des Danish String Quartet angetan. Gramophone unterstreicht das “natürliche Musizieren” des Ensembles, das sich vor allem in dem “Menuett-Stil” von Beethovens ‘Poco scherzando’ und in Schnittkes Finale bewähre. Die Zeitschrift Audio überzeugen die “Bezüge und Fortentwicklungen”, die das Danish String Quartet in “dem mehr als 230 Jahre umspannenden Zeithorizont freilegt: Beethoven und Schnittke sind wie ein Prisma, die Bachs Lichtstrahl aufspalten und umlenken.” Die Datenbank All Music kann den Rest der Serie kaum erwarten, gibt aber zu bedenken, dass der gerade erschienene Teil mit seiner “Beethoven-Darbietung für die Ewigkeit die verbleibenden Folgen in den Schatten stellen” könnte.

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