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Die Verwandtschaft von Poesie und Klarheit – Bach-Transkriptionen von Fred Thomas

Fred Thomas
© Phelan Burgoyne/ECM Records
29.10.2021
Die Kunst der Transkription hat bei der schöpferischen Aneignung von Bachs Musik stets eine wichtige Rolle gespielt. Namen wie Mozart, Liszt, Siloti, Busoni oder Reger bezeugen den hohen musikalischen Rang von Bach-Bearbeitungen in der Tradition. Bis heute besteht das Bedürfnis fort, Bachs Partituren in Gebrauch zu nehmen, um seine Musik in neuer Instrumentierung und anders akzentuiert erklingen zu lassen. Als einer der originellsten Bach-Arrangeure und -Interpreten der Gegenwart kann der britische Pianist Fred Thomas gelten. Der junge Musiker hat sich den komplex verzweigten Harmonien des Thomaskantors bereits auf unterschiedlichen Instrumenten gewidmet: an der Orgel, am Klavier und am Banjo. 
Jetzt veröffentlicht der auch in der Jazz- und Fusionszene aktive Multi-Instrumentalist sein Debüt bei ECM New Series und widmet sich dabei erneut Bach. Fred Thomas hat Choralvorspiele, Kantatensätze und Orchestersinfonien von Bach für Klaviertrio und Klavier solo arrangiert. ECM-Produzent Manfred Eicher fügte die Stücke in eine Reihenfolge, die auf dem Album eine ganz eigene, wellenartige Dynamik entfaltet. 
Differenzierung der Stimmen
Die Trios nahm der Pianist gemeinsam mit der kasachischen Geigerin Aisha Orazbayeva und der britischen Cellistin Lucy Railton auf, zwei Solistinnen, die er seit seinem Musikstudium in London zu Beginn der 2000er Jahre kennt und deren “Vorliebe für den schlanken, geraden Ton” er schätzt. Thomas verband mit der Einladung der beiden Streicherinnen für das Album die Hoffnung, gemeinsam jenen “Sinn für Stille” zu entdecken, den der Pianist als ein wesentliches Charakteristikum von Bachs Musik begreift.
Neben der klaren Konturierung der einzelnen Stimmen in Bachs verschlungener Kontrapunktik ist die von Thomas beschworene Stille eines der hervorstechendsten Merkmale seines New Series-Debüts. Der Pianist verleiht Bachs Musik eine poetische Intimität, die man von den bearbeiteten Stücken im Original und an ihrem angestammten Ort, im Kirchraum, nicht kennt. 
Damit scheint Thomas auf den Pfaden von Liszt und Busoni zu wandeln, die bei der Übertragung von Bachs Orgelmusik auf das Klavier bereits ähnliche poetische Entdeckungen machten. Mit dem Unterschied, dass Thomas akribischer um die Differenzierung der Stimmen bemüht ist und seine Bearbeitungen auf Trios konzentriert sind. Thomas zahlt nicht den Preis einer romantischen oder impressionistischen Verunklarung von Bachs Polyphonie, um eine bestimmte poetische Atmosphäre zu erzeugen. Klarheit und Poesie gehen bei ihm Hand in Hand.   
Klarheit und Poesie
Am eindrücklichsten zeigt sich diese Qualität in Stücken aus Bachs visionärem Orgelbüchlein, aus dem Thomas den Großteil seiner Trio-Transkriptionen gewinnt: Choralvorspiele wie die elegisch fließenden “Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ” (BWV 639) oder “Das alte Jahr vergangen ist” (BWV 614) entfalten eine in sich ruhende Klangpoesie, die aus dem kontemplativen Musizieren der drei Solisten ohne jede Gewolltheit hervorgeht. Gewagter nehmen sich Stücke wie “In dulci jubilo” (BWV 608) oder “Gott, durch deine Güte” (BWV 600) aus, bei denen das Klavier die Hauptstimme übernimmt und die Geige wie von Ferne die Melodie umspielt. In den Arrangements für Klavier solo bestechen die kantablen Fähigkeiten des Pianisten, der Arien wie “Weichet nur, betrübte Schatten” (BWV 202) oder “Wie furchtsam wankten meine Schritte” (BWV 33) ebenso sanft wie klar konturiert vorzutragen weiß.

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