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Die scharfen Kanten der Moderne – Thomas Zehetmair mit Werken von Beethoven, Bartók und Casken

Ruth Killius, Thomas Zehetmair
Keith Pattison
17.02.2023
Thomas Zehetmair ist bekannt für sein breitgespanntes Repertoire. Neben einschlägiger Geigenliteratur barocker, klassischer und romantischer Provenienz gilt die Aufmerksamkeit des österreichischen Geigenvirtuosen und Dirigenten seit jeher der avantgardistischen Musik. Auf diesem Feld hat er sich ein enormes Quantum erarbeitet und mit einer Fülle von versierten Aufnahmen auf sich aufmerksam gemacht, darunter Werke der klassischen Moderne, aber auch Uraufführungen innovativer Gegenwartskomponisten wie James Dillon oder Heinz Holliger.
Auf seiner neuesten Veröffentlichung ist Zehetmair, der seit den 1980er Jahren für das Münchener Label ECM New Series aufnimmt und dort zahlreiche Alben produziert hat, mit einem Auftritt in dem britischen Konzerthaus The Sage Gateshead zu erleben. In dem modernen Veranstaltungskomplex ist die Royal Northern Sinfonia beheimatet, ein gediegenes Kammerorchester, dem Zehetmair von 2002 bis 2014 als Musikdirektor vorstand und dessen Ehrendirigent er seit 2015 ist. 
Resümee und Aufbruch 
Das Konzert, das ECM jetzt als Live-Mitschnitt präsentiert, fand im Juni 2014 statt und markierte Zehetmairs Abschied aus Gateshead, für den Musiker selbst eine Art „Resümee und Aufbruch zugleich“. Auf dem Programm stand neben Bartóks Bratschenkonzert und Beethovens Sinfonie Nr. 5 in c-Moll John Caskens Doppelkonzert „That Subtle Knot“, das der britische Komponist in den Jahren 2012 und 2013 eigens für Zehetmair, die Bratschistin Ruth Killius und die Northern Sinfonia verfasst hatte.
Das Album startet in der Gegenwart, mit Caskens Concerto. Es beginnt leise, beinahe harmlos. Die Bratsche stimmt einen zarten Monolog an. Die Geige fädelt sich nach fünf Takten diskret in das Solo ein. Es entspinnt sich ein Dialog, in dem sich die beiden Stimmen immer mehr verschränken, ohne dabei ihren jeweiligen Eigensinn zu verlieren. Spätestens als das Orchester hinzutritt, beginnt sich eine flirrende Heftigkeit in dem Stück zu entfalten, die nach stilleren Momenten auch im zweiten Satz wiederkehrt.
Scharfe Kanten
Auf Caskens Concerto folgt Bartóks Bratschenkonzert von 1945, in dem Killius ihre ganze virtuose Klasse ausspielen kann. Bestechend ist ihr scharf konturierter Ton, der dem Werk neben dem poetischen Zauber eine ungewöhnlich transparente Gestalt verleiht. Bewährt sich schon hier und in dem Werk von Casken der ebenso schlanke wie geschliffene Stil der Northern Sinfonia, so weiß Zehetmair diese klangliche Ressource in Beethovens Sinfonie Nr. 5 in c-Moll in besonderer Weise zu nutzen. 
Die glühende, romantische Dimension der Sinfonie und das von Beethoven so stark empfundene Brodeln der Moderne in Gestalt der Aufklärungsphilosophie und der Französischen Revolution kommen mit elektrisierender Intensität zum Ausdruck, aber nicht, wie in den großen Interpretationen von Carlos Kleiber oder Leonard Bernstein, voluminös und grandios, sondern eher implosionsartig und mit scharfer Kante. Das hat Neuigkeitswert, was bei einem Werk, das so oft aufgenommen wurde, als erstaunliches Phänomen gelten darf.
 

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