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Aus einer anderen Welt – Hommage an Ole Bull

Nils Okland © Lars O. Flydal / ECM Records
© Lars O. Flydal / ECM Records
05.05.2011
Seine Musik lebt selbst noch in kleinen Dörfern des amerikanschen Westens fort – und im Wiener Stadtteil Favoriten ist eine Gasse nach ihm benannt. Der große Robert Schumann schätzte sein Spiel einst höher ein als das Paganinis. In seiner Zeit war Ole Bornemann Bull, der von 1810 bis 1880 lebte, zweifellos einer der herrlichsten Violinvirtuosen der Welt. Aber obgleich der Name dieses norwegischen Geigers und Komponisten für tief Eingeweihte zum Pantheon der mythischen Legenden zählt, dürfte Bull außerhalb seiner Heimatnation bis vor kurzem kaum jemandem mehr ein Begriff gewesen sein. Dann kamen, kaum einen Monat ist das her, der Geiger Nils Økland und der Keyboarder Sigbjørn Apeland mit ihrem hymnisch gelobten Album Lysøen – Hommage à Ole Bull auf ECM heraus. Seitdem ist der Name Ole Bull, nicht nur aufgrund denkwürdiger Artikel in DIE ZEIT und einigen anderen Publikationen, ins Bewußtsein zahlreicher Connaisseure gerückt, die in der Musik nach etwas Zeitlosem suchen.

Man hat schon nach wenigen Tönen vergessen, dass sie vom Tonträger kommen” hat Volker Hagedorn in der ZEIT geschrieben – und das faßt die Magie dieser Einspielung vielleicht am besten zusammen. Die Aufnahmen entstanden auf der Insel Lysøen vor der norwegischen Küste, im hölzernenen, originalgetreu erhaltenen Musiksaal der Villa Lysø, einer Art Traumschlösschen mit maurischen und russischen Einflüßen, die sich der weitgereiste Kosmopolit Bull nach eigenen Vorstellungen auf dem dreizehn Quadratkilometer großen, idyllischen Eiland errichten ließ. Im Begleitheft zur CD lassen eindrückliche Schwarzweißbilder die Magie dieses Ortes, dieses Saales, erahnen, in welchem der schwerkranke Ole Bull der Legende nach an einem Augusttag des Jahres 1880 friedlich einschlief, während ihm seine Frau Sara auf dem Harmonium aus Mozarts Requiem vorspielte. Wen die schwer erklärbare Anziehungskraft der introvertierten musikalischen Miniaturen, die Økland und Apeland in eben diesem Musikzimmer eingespielt haben, erfaßt, der fühlt sich unweigerlich in eine magische Welt und in ein anderes Zeitalter versetzt.

Nur Geige oder die norwegisch-volksmusikalische Hardangerfiedel, nur Klavier oder Harmonium, andere Instrumente sind auf Lysøen – Hommage à Ole Bull nicht zu vernehmen. Økland und Apeland entlocken ihren Instrumenten fast ausnahmslos leise, innerliche, melancholische Töne. Die Stimmung, die dadurch evoziert wird, gleicht der eines einsamen Strandspaziergangs im Oktober, oder dem spätnachmittäglichen Blick aufs Meer hinaus durch ein regenverschleiertes Fenster beim Schein einer einsamen Kerze. Ganz wie es Ole Bulls unverwechselbar originellem Stil als Konzertmusiker entsprach, präsentieren die beiden Musiker einen vielfältigen, manchmal improvisierten Mix aus Bulls Werken, eigenen Kompositionen und traditionellen Stücken norwegischer Volksmusik. Nicht wenig davon, wie etwa Ole Bull-vals, der erst kürzlich von einem norwegischen Geiger in dem kleinen Westernstädtchen Drammen in Wisconsin wiederentdeckt wurde, wo lokale Fiddlers dieses Stück – wohl als Überbleibsel von einer von Bulls zahllosen Tourneen – noch immer im Programm haben, wird mit Lysøen Ole Bull buchstäblich dem Vergessen entrissen. Eine CD, die verführerischer dazu einladen würde, auf Traumreisen zu gehen, als diese hat es 2011 noch nicht gegeben.

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