Marschieren hat einen schlechten Ruf. Allzu nachhaltig lastet das Soldatische der vergangenen zwei Jahrhunderte über dem Begriff und das durchaus zu Recht. Märsche sind dadurch ein wenig in den Hintergrund des musikalischen Interesses getreten, obwohl ihnen nicht zwangsläufig ein militärischer Charakter anhaftet. Im Gegenteil: Man findet sie bei Festen und auf Hochzeiten, in Opern und Intermezzi, insgesamt in sehr vielen verschiedenen Zusammenhängen, die eine fröhliche und zuweilen sogar private Musik nahe legen. Für den Meisterdirigenten Claudio Abbado war es daher ein Freude, in den Annalen der eigenen Schallplattengeschichte zu blättern und “Marce & Danze” auszuwählen, die ihm am Herzen liegen.
Man denke nur an Mozart. In seinen Augen hatte ein Marsch nichts Verwerfliches, sondern war vielmehr eine elegante Form der gesellschaftlichen Präsentation und er fand auch nichts dabei, einzelne Arien aus seinen Opern als Vorlage für seine “Kontretänze” zu nehmen. Einen Hauch exotisches, wenn nicht gar exotistisches Flair genehmigte sich auch Ludwig van Beethoven, wenn er für die Bühnenmusik zu August von Kotzebues Theaterstück “Die Ruinen von Athen” einen Marsch “Alla Turca” komponiert, einschließlich einiger klangkolorierender Klischees besonders in der Instrumentierung.
Franz Schubert wiederum schuf einen ganze Reihe von Märschen ursprünglich als Klavierstücke für vier Hände, die dann von nachfolgenden Kollegen wie etwa Bruno Maderna für das große Ensemble umgearbeitet wurden. Der begeisterte Umgang mit Märschen und Tänzen durchzog überhaupt die Epoche der Romantik und brachte so manches Prachtexemplar der Gattung zum Vorschein. Hector Berlioz vertonte in der “Symphonie Fantastique” eine bedrückende Traumsequenz mit dem marschähnlichen “Gang zum Richtplatz”, Georges Bizet arbeitete in seine Oper “Carmen” einen furiosen “Marsch der Schmuggler” ein und Richard Wagner ließ es sich ebenfalls nicht nehmen, im “Lohengrin” das berühmte Brautlied “Treulich geführt ziehet dahin” einzufügen.
So reicht das Spektrum von ernstem Pathos à la Verdi und Tschaikowsky über fröhliches Paradieren im Sinne von Johann Strauss bis hin zu ironisch gebrochenen Märschen, wie sie Serge Prokofiev bevorzugte. Claudio Abbado hatte daher die Wahl und er entschied sich für ein buntes Panoptikum, das er zuweilen noch mit orchestralen Klassikern wie zwei ungarischen Tänzen von Johannes Brahms auflockerte. Die Aufnahmen der Sammlung “Marce & Danze” entstanden über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg und versammeln einige der renommiertesten Ensembles und Künstler der klassischen Musikwelt auf einer CD. Abbado dirigierte dafür die Berliner und Wiener Philharmoniker, das Chicago Symphony Orchestra und das Chamber Orchestra Of Europe. Zu den Solisten zählen Teresa Berganza, Placido Domingo, Nicolai Ghiaurov und Renate Hasler, so dass sich auf einer CD-Länge eine kleine Welt der pointierten Melodien und packenden Rhythmen präsentiert, die nicht nur dem Maestro selbst Spaß macht.