Die Transportbedingungen für Reisende, Waren und Postsendungen im 18. Jahrhundert waren schwierig. Auslandsreisen waren der Nobilität vorbehalten, denn die Nutzung von Pferdekutschen, zahlreiche Zölle und Begleitschutz verschlangen schnell ein Vermögen. Der Horizont eines normal Sterblichen war somit auf die Tragweite der eigenen Beine beschränkt. Daraus zu schließen, die Komponisten des Barock hätten nur wenig von der Arbeit ausländischer Kollegen gewusst, ist jedoch falsch. Musik hatte im höfischen Leben einen hohen Stellenwert. Führenden Musikern finanzierte man bereitwillig Bildungsreisen ins Ausland, um der neuesten Stile und Kompositionen habhaft zu werden. Die Grand Tour – ab dem Beginn des 18. Jahrhunderts obligatorisches Bildungserlebnis für Sprösslinge adliger Familien – gehörte in Komponistenkreisen seit dem Frühbarock längst zum guten Ton.
Vorsprung durch Bildung
Ein Paradebeispiel ist Georg Friedrich Händel – ein wahrhaft europäischer Barockkomponist. Er nahm sich für seine Studienreise nach Italien vier Jahre Zeit. Dort traf er die führenden Komponisten des Landes: Arcangelo Corelli in Rom, Domenico Scarlatti und vermutlich auch Antonio Vivaldi in Venedig. Eifrig verarbeitete der Meister die gesammelten Eindrücke in seiner Musik und verteilte sie wie eine Honigbiene in Dresden und Hannover und später an verschiedenen englischen Höfen. Jean-Philippe Rameau ging nach Italien, um die Cantata zu studieren. Domenico Scarlatti kam in Sevilla mit dem Flamenco in Berührung und ließ spanische Anklänge ihn einige seiner Cembalo-Sonaten einfließen. Johann Sebastian Bach überquerte zwar nie die Alpen. Doch er ließ sich von fliegenden Händlern regelmäßig mit Abschriften der neuesten Partituren italienischer Kollegen beliefern, darunter Pergolesi und Vivaldi. Auf diese Weise gelangte auch Henry Purcell an französische und italienische Notentexte.
Mit L’Oiseau-Lyre das Barock entdecken
Eine Bildungsreise durch die vielfältige Musiklandschaft Europas im Zeitalter des Barock – dazu lädt die limitierte 50CD-Edition “L’oiseau-Lyre – Das Barock” ein. Dafür wurden die schönsten Aufnahmen des auf Alte Musik spezialisierten Labels L’Oiseau-Lyre ausgewählt. Dieser ausgedehnte Streifzug führt durch das Italien von Scarlatti und Vivaldi, das Frankreich von Rameau und Couperin, das England von Purcell und Händel bis ins Deutschland von Bach und Telemann. Zum Pflichtpensum zählen Händels “Wassermusik” und das Oratorium “Messiah”, die “Goldberg-Variationen” und die Brandenburgischen Konzerte Nr. 1–6 von J.S. Bach, Vivaldis “Vier Jahreszeiten” und Pergolesis “Stabat Mater”. Zudem hält die Edition echte Entdeckungen bereit, so etwa Kammermusik für den Königshof Ludwigs XIV., komponiert von Couperin, Monteclair und Marais, oder Lieder für die englische Restaurationskomödie von Purcell, Blow und Locke. Eine Vielzahl der Aufnahmen stammt von The Academy of Ancient Music unter Christopher Hogwood, einem der führenden Ensembles der historischen Aufführungspraxis. Namen wie Il Giardino Armonico, Amsterdam Loeki Stardust Quartet, New London Consort, The Handel & Haydn Society, Emma Kirkby und Christophe Rousset lassen ebenfalls keinen Zweifel daran, dass bei der Zusammenstellung dieser umfangreichen Edition Qualität der Maßstab war.