Barbara Bonney | News | Rollentausch

Rollentausch

Barbara Bonney c Jeff Cottendon
© Jeff Cottendon
15.03.2002
Männer, die Frauenpartien singen, haben eine lange Tradition. Frauen hingegen, die sich einem für Männer geschriebenen Repertoire zuwenden, sind noch immer selten. Ein bisschen Tabubruch ist daher dabei, wenn sich Barbara Bonney Schumanns “Dichterliebe” und Liedern von Franz Liszt widmet. Umso besser, denn auf diese Weise kann man sich einmal aufs Neue überraschen lassen.
“Ich habe mich immer sehr zur ‘Dichterliebe’ hingezogen gefühlt – es ist eines der Hauptwerke der Literatur, die Musik ist sensationell und der Text wunderbar. Ich habe alle diese Tenöre und Baritone sehr beneidet, die den Zyklus sangen, doch umgekehrt war ich bei meiner Interpretation frei von früheren stimmlichen Assoziationen und konnte etwas völlig Neues versuchen”. Barbara Bonney kommt ins Schwärmen. Im September vergangenen Jahres hat sie sich gemeinsam mit dem Pianisten Antonio Pappano an etwas Ungewöhnliches gewagt und mit “While I Dream” die Repertoiregewohnheiten des Liedgesangs erweitert. Ein knappes Dutzend Lieder von Franz Liszt und Robert Schumanns Zyklus “Dichterliebe” Op.48 wurden von der amerikanischen Sopranistin für ihre Lage bearbeitet und kurzerhand aufgenommen.
 
Die Zusammenstellung ist in vieler Hinsicht reizvoll. Da ist nicht nur der Kontrast der ungewohnten Stimme, sondern auch der ästhetische Gegensatz zwischen den konkurrierenden Komponisten, die in etwa zur selben Zeit auf konträre Weise mit den technischen Voraussetzungen ihrer Kunstform umgingen. Schumann, der Elegische, umschmeichelt die Worte mit seinen reizvoll gefächerten Harmonien und übernimmt Momente der Ironie, die Heinrich Heine in die Lyrik gelegt hat, in seine Interpretationen der Verse. Liszt, der Pathetische, gibt sich einerseits freier in der Bearbeitung der Textgrundlagen – seine Autoren heißen in diesem Fall Victor Hugo, Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe – bleibt aber auf der anderen Seite dem Operähnlichen und Dramatischen verhaftet und mutet dem Pianisten so manche beiläufige Akrobatik zu.
 
Zwei Antagonisten unter den Komponisten, Rollentausch in der Interpretation – da ist noch ein weiteres pikantes Detail, mit dem Bonney umgehen muss. Denn die Lieder erzählen aus der Perspektive des Mannes die Leidenschaft für die Frau: “Die menschlichen Gefühle sind universell – Liebe, Schmerz und Entäuschung. Indem eine Frau sich in diese Gedichte vertieft, erhält sie die Chance, ihre männliche Seite zu ergründen und zu verstehen, was in den Gedanken der anderen Hälfte vorgeht. Ich habe mir vorgestellt, die Frau zu sein, an die diese Gedichte gerichtet sind.” Es ist ein Risiko, aber Bonney vermeidet alle Anspielungen, die die Situation ins Komische wenden könnten. An der Souveränität und dem Ernst im Umgang mit der Tradition merkt man die große Erfahrung, die die gefeierte Sopranistin innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte auf den großen Bühnen der Welt gesammelt hat. Und am sensiblen Zusammenspiel mit Antonio Pappano, dem künftigen musikalischen Leiter des Londoner Covent Gardens, spürt man die inspirierende künstlerische Gemeinsamkeit, die die Künstler seit langem verbindet. “Subtile Dreams” ist daher etwas Besonderes, ein Album mit ungewohntem Programm, großen Emotionen und faszinierenden Neudeutungen berühmter Melodien.

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