Das Musizieren ist für Andrè Schuen so selbstverständlich wie das Sprechen. Der Bariton, der in einer mehrsprachigen Musikerfamilie aufgewachsen ist, kommuniziert in Melodien ebenso fließend wie auf Deutsch, Italienisch oder Ladinisch, einem Dialekt in Südtirol, wo Schuen zur Welt kam. Schuens Repertoire umfasst Lied und Oper, aber auch traditionelle ladinische Volksmusik. Immer jedoch spannt es den Bogen über das ganze Spektrum menschlicher Gefühle und immer spiegelt sich darin die Leidenschaft des Sängers für das Wort und sein Respekt vor dessen Bedeutung.
Kritiker sind begeistert von Schuens Amalgam aus stimmlicher Autorität, klanglicher Wärme und expressivem Verstand. »Dieser dunkle, unangestrengte Bariton gehört zum Schönsten, was man derzeit hören kann, es ist eine uneingeschränkt herrliche Stimme«, urteilt die Frankfurter Rundschau, während Gramophone seinen enormen Ausdrucksumfang und seine Fähigkeit lobt, »lange, ruhige Gesangslinien« hervorzubringen, die in »vollendeter Leichtigkeit fließen«.
Andrè Schuen ist Exklusivkünstler bei Deutsche Grammophon. Im März 2021 erschien sein DG-Debütalbum mit Schuberts Die schöne Müllerin, eingespielt mit dem Pianisten Daniel Heide. In ihrer Rezension des Albums rühmte The Sunday Times die »emotionale Wahrhaftigkeit« des Sängers.
Auf diesen Erfolg ließ Schuen eine Aufnahme von Schuberts letzter Liedsammlung, Schwanengesang, folgen, wiederum mit seinem langjährigen Duopartner Daniel Heide. Schwanengesang wurde unter großem Beifall im November 2022 veröffentlicht, Gramophone feierte Schuens »frischen, wunderbar klaren Bariton, mit einer Atemkontrolle, die ihm erlaubt, lange Gesangslinien anzugehen, mit aufschlussreicher musikalischer Zielstrebigkeit und deutlicher Artikulation des Texts«. Das Album wurde 2023 mit einem Opus Klassik ausgezeichnet.
Mit einer gefeierten Einspielung der Winterreise beschlossen Schuen und Heide ihre Trilogie der großen Schubert-Liederzyklen im Mai 2024 (»Sänger und Pianist spannen den dramatischen Bogen des Zyklus mit feinem Gespür, indem sie ganz in die jeweilige Figur eintauchen und diese Intensität durch eine durchdachte, musikalisch stimmige Linie bewahren« – Gramophone). Die Aufnahme diente auch als Soundtrack für den Animations-/Live-Action-Film A Winter’s Journey von der Regisseurin Alex Helfrecht, in den Hauptrollen unter anderem John Malkovich, Marcin Czarnik und Jason Isaacs.
Seinen langjährigen Wunsch, ein Mozart-Album aufzunehmen, erfüllte sich der Sänger mit seiner jüngsten Veröffentlichung: Mozart umfasst Auszüge aus Le nozze di Figaro, Die Zauberflöte und Don Giovanni, begleitet wird Schuen vom Mozarteumorchester unter Chefdirigent Roberto González-Monjas. Drei Duette mit der Sopranistin Nikola Hillebrand sind ebenso auf dem Album zu hören wie einige Werke mit Klavierbegleitung (erneut mit Daniel Heide) und »Komm, liebe Zither« mit dem Mandolinisten und DG-Exklusivkünstler Avi Avital. Mozart erscheint im Juli 2025.
In diesem Sommer verkörpert Schuen beim Aix-en-Provence Festival die Titelrolle in der neuen Produktion von Don Giovanni, Regie führt Robert Icke und Simon Rattle dirigiert (4.–18. Juli 2025). Mit Daniel Heide gibt er ein Konzert mit Werken von R. Strauss, Wagner und Zemlinsky auf Schloss Ettersburg in Weimar (13. August) sowie beim Salzburg Festival (16. August), beim Herbstgold Festival auf Schloss Esterházy (19. September) und im Amsterdamer Concertgebouw (23. September), darüber hinaus gibt das Duo die Winterreise im Tivoli in Kopenhagen (19. August). Im November singt Schuen den Ford in Mario Martones Produktion von Verdis Falstaff an der Berliner Staatsoper.
1984 in La Val in Südtirol geboren, studierte Andrè Schuen als Kind Cello; zudem spielte und sang er ladinische Volksmusik in einem Familienensemble, zu dem auch seine Mutter, sein Vater, zwei Schwestern und ein Cousin gehörten. Später wandte er sich dem Gesang zu und bekam einen Studienplatz am Salzburger Mozarteum, wo er bei der rumänischen Sopranistin Horiana Brănişteanu studierte und von seinem Baritonkollegen Wolfgang Holzmair Unterricht in Lied und Oratorium erhielt. Zu seiner Ausbildung gehörten auch Meisterkurse u. a. bei Kurt Widmer, Thomas Allen, Brigitte Fassbaender, Marjana Lipovšek und Olaf Bär.
2009 trat Schuen als Sänger und Schauspieler bei den Salzburger Festspielen in Luigi Nonos Al gran sole carico d’amore auf und wurde im Jahr darauf Mitglied des Young Singers Project der Festspiele. Nach einem Abschluss mit Auszeichnung im Jahr 2010 war Schuen vier Jahre Mitglied der Oper Graz und debütierte 2011 bei den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle. Er erntete die Anerkennung der Kritiker, als er 2014 als einer von nur wenigen Interpreten in jeder der drei Da-Ponte-Opern in Nikolaus Harnoncourts Mozart-Zyklus im Theater an der Wien auftrat; er verkörperte die Rollen des Figaro, des Don Giovanni und des Guglielmo. 2017 trat er erstmals in den USA auf, wo er Liederabende mit Thomas Adès beim Tanglewood Festival und mit Andreas Haefliger beim Aspen Music Festival gab. Seine Partnerschaft mit dem Pianisten Daniel Heide findet Bestätigung in Konzerten und auf Alben, darunter regelmäßigen Darbietungen bei der Schubertiade in Schwarzenberg/Hohenems.
5/2025