Diese CD bildet den Grundstein der neuen Serie Club 100, die sich Komponisten des 20. Jahrhunderts anläßlich ihres 100. Geburtstags widmet. Dabei versammelt das imaginäre Haus dieses Clubs neben berühmten Klassikern der Moderne auch bislang kaum bekannte unter seinem Dach. Der Club der Jubliare präsentiert bedeutende Meisterwerke prominenter Komponisten in Referenzeinspielungen und hält gleichzeitig sorgfältig ausgesuchte Geburtstagsüberraschungen der exquisiten Marke “große Unbekannte” bereit.
Die CD bietet die seltene Möglichkeit, den deutschen Komponisten Gerhard Frommel kennenzulernen und sich dabei – in direktem Nebeneinander mit Dimitri Schostakowitsch – von seiner Meisterschaft zu überzeugen. Die in den 30er Jahren geschaffenen Klavierkonzerte beider Komponisten eignen sich hierfür in besonderer Weise. Sie sind nicht nur fast zeitgleich entstanden, sondern auch hinsichtlich ihrer Besetzung und Spieldauer von großer Ähnlichkeit. Beide Konzerte vereinigen romantische Züge mit einer Tendenz zur damals aktuellen Neuen Klassizität.
Schostakowitsch ist heute allgemein bekannt. Wer aber war Gerhard Frommel? 1906 geboren, begann er bereits 1922 ein Kompositionsstudium bei Hermann Grabner. 1926 wechselte er in die Meisterklasse von Hans Pfitzner, von dem er entscheidende ästhetische Positionen übernahm, namentlich dessen Einfallslehre sowie das Prinzip des Festhaltens an der Tonalität. Andererseits schrieb Frommel später: “Die Ablösung von Pfitzner, so schwer sie fiel, war eine unausweichliche Notwendigkeit, nur im Gegensatz, ja in der Auflehnung gegen ihn fand ich zu mir selbst.” Im Prozeß dieser Selbstfindung spielte vor allem der Neoklassizismus Strawinskys eine prägende Rolle und später (ab 1937) auch der Jazz Duke Ellingtons, auf den ihn Carl Orff aufmerksam gemacht hatte. Strawinsky hatte Frommel seit den späten 20er Jahren zunehmend fasziniert, was sich dann u. a. 1935 in seiner Schrift Neue Klassik in der Musik manifestierte. Aufgrund dieser Publikation wurde Frommel 1938 in der Ausstellung Entartete Musik neben Schönberg und Hindemith als “Theoretiker der Atonalität” angeprangert (Sympathisanten Frommels protestierten sofort dagegen und konnten die Entfernung seiner Schrift aus der Ausstellung erreichen). Dabei hatte Frommel in seinem Essay nicht für atonales Komponieren plädiert, sondern lediglich für eine erweiterte und freie Form von Tonalität.
Bei einem Besuch in der Schweiz erfuhr Frommel 1935 erstmalig Näheres über die Zustände in den deutschen Konzentrationslagern. Er, der sich 1933 noch von der “nationalen Welle” hatte mitreißen lassen, aber spätestens nach den Morden des Jahres 1934 zur Ernüchterung gekommen war, distanzierte sich daraufhin innerlich entschieden vom Hitlerstaat und setzte sich wiederholt in mutiger Weise für “unerwünschte” Komponisten wie Bartók und Strawinsky ein. Dies geschah u. a. durch Vorträge und Konzerte des von ihm 1935 mitbegründeten Frankfurter “Arbeitskreises für neue Musik”.
Obwohl Frommel gelegentlich bis in atonale Bezirke vorstieß, hat er doch nie mit der Tonalität gebrochen. Er war davon überzeugt, daß sie ein Urprinzip der Musik sei und nicht bloß eine historische Erscheinung. Daher war es ihm auch unmöglich, den auf Schönbergs Atonalität aufbauenden Modeströmungen der Nachkriegszeit zu entsprechen. Im Zuge der Etablierung jener exklusiven Avantgarden wurde er dann immer mehr ins Abseits gedrängt. Bis auf seine 7. Klaviersonate (1970) komponierte er nach 1962 nichts mehr. Er äußerte: “Lieber verstumme ich, als mich einem mir nicht gemäßen Zug der Zeit anzupassen.” Zuvor hatte Frommel aber noch einige herausragende Meisterwerke geschaffen, darunter seine ebenfalls auf der neuen Club 100 – CD vorgestellte sechste Klaviersonate, in welcher ihm eine überzeugende Synthese aus abendländischer Klassik und indonesischer Gamelan-Tradition gelang.
Die junge Pianistin Tatjana Blome zeigt sich auf der neuen Grammophon-CD in ihrer Neueinspielung der beiden anspruchsvollen Werke Frommels dem unmittelbaren Vergleich mit der legendären Martha Argerich in jeder Hinsicht gewachsen – was ja an sich schon eine kleine Sensation bedeutet und den Kauf dieser Silberscheibe für alle Klavier-interessierten zu einem Muß macht.