Wilhelm Furtwängler | News | Hoffnungsträger

Hoffnungsträger

01.03.2006
Von Wilhelm Furtwängler wird erzählt, allein seine Präsenz im Raum habe es vermocht, den Klang eines Orchesters zu verändern. Er war eine der großen künstlerischen Persönlichkeiten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, einer von denen, der die Hörgewohnheiten einer Zeit geprägt hat und trotz oder gerade wegen seiner Weigerung, während der Schreckensherrschaft der Nazis Deutschland zu verlassen, vielen seiner Mitmenschen Kraft gegeben hat. Vor wenigen Wochen jährte sich sein Geburtstag zum 120.Mal, die Deutsche Grammophon ehrt ihn aus diesem Anlass mit einer Zusammenstellung bewegender Aufnahmen der Nachkriegszeit, die mit den Berliner Philharmonikern entstanden waren.
Wilhelm Furtwängler (1886–1954) hätte genug Gelegenheiten gehabt, dem Land des braunen Terrors den Rücken zu kehren, etwa als Arturo Toscanini ihn 1936 als seinen Nachfolger an der Spitze der New Yorker Philharmoniker vorgeschlagen hatte, eine Stelle, die er mit Sicherheit bekommen hätte. Doch der geborene Berliner wollte seine Heimat trotz aller düsterer Vorzeichen nicht im Stich lassen und begnügte sich mit dem, was die Historiker später die innere Emigration nannten. Den Propagandisten des Systems war das nur Recht, denn auf diese Weise hatten sie ein prominentes Aushängeschild für ihre vermeintliche kulturelle Toleranz, die nicht erst wie die Olympischen Spiele mühsam inszeniert werden mussten. Allerdings bekam auch Furtwängler zu spüren, dass er sich nicht alles erlauben konnte. Als er 1934 eine Symphonie auf der Basis von Hindemiths Oper “Mathis der Maler” dirigierte, wurde er von politische Seite abgemahnt und von der Presse scharf angegriffen. Für jemanden, der 1924 bereits Strawinsky bei dessen Konzert begleitet hatte, 1927 mit Bartók persönlich dessen erstes Klavierkonzert vorgestellt oder 1928 Schönbergs Orchester-Variationen uraufgeführt hatte, war ein derartiger Kleingeist ein Affront. Er legte seine Ämter nieder und konzentrierte sich vorübergehend nur noch auf das Komponieren. Doch bald kehrte er zurück an das Pult der Berliner Philharmoniker und so entstand eine ambivalente Situation, die der Regisseur Boreslaw Barlog mit den kurzen Sätzen zusammenfasste: “Alle acht oder vierzehn Tage ein Furtwängler-Konzert zu hören, war Grund zum Überleben”.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem mühsamen Prozess der Entnazifizierung kehrte Furtwängler 1947 wieder an das Pult der Berliner Philharmoniker zurück. Er vermied es, sich vollständig zu binden, denn dazu war ihm seine Freiheit als Komponist viel zu wertvoll. Trotzdem ließ er sich 1952 zum “lebenslänglichen künstlerischen Leiter” des Ensembles ernennen. In den wenigen Jahren, die ihm bis zu seinem Tod im November 1954 blieben entstanden zahlreiche großartige Aufnahmen mit diesem Orchester, die noch einmal die Ära der Intuition und inneren Größe feierten, im Unterschied zum aufsteigenden Karajan-Stern, der vor allem Kühle und Präzision verhieß. Die Zusammenstellung “The Berlin Album” trägt diesem Phänomen Rechnung und kombiniert auf zwei CDs sechzehn Beispiele dieser späten interpretatorischen Blüte. Das Repertoire reicht von Glucks “Alceste”-Ouvertüre und Beethovens “Egmont”-Ouvertüre über Ausschnitte sinfonischer Meisterwerke von Schubert, Schumann und Brahms bis hin zum Vorspiel von Wagners “Meistersingern” und der Ouvertüre zu Webers “Freischütz”. Es ist ein beeindruckendes Kompendium künstlerischer Kompetenz, die vor allem von Furtwänglers warmem, menschlichen Orchesterklang, dem natürlichen Fließen der Musik und der Spontaneität der Darstellung bestimmt ist. Yehudi Menuhin fasst diese Faszination im Booklet des “Berlin Albums” mit einer präzisen Charakteristik zusammen: “Er wollte keine Kompanie von Soldaten, die Befehle ausführen; vielmehr sollten die Musiker einen Klangkörper bilden, der neben seiner unverwechselbaren Gestalt auch seinen eigenen Willen hat”. Vielleicht war diese Freiheit im Geiste überhaupt das Geheimnis von Furtwänglers Kunst.