Die Evolution der abendländischen Kunstmusik im
20. Jahrhundert ist von einer einzigartigen Dynamik geprägt. Angestoßen von der Überwindung der traditionellen Dur-Moll-Tonalität um 1910 entwickelten sich neue Musikstile, Kompositionstechniken und Ausdrucksformen in kaum überschaubarer Vielfalt. Für den Hörer stellt sich angesichts dieser faszinierenden, doch zugleich erschlagenden Fülle die Frage nach Schlüsselfiguren und zentralen Werken. Sie zu beantworten beabsichtigt die
Serie 20C. Im Halbjahres-Rhythmus präsentiert sie jeweils zehn neue Folgen mit
Meilensteinen der Musik des 20. Jahrhunderts in Aufnahmen bedeutender Solisten, Dirigenten und Orchester. Wir stellen zwei aktuelle Titel vor.
Werke von Iannis Xenakis Der griechische Komponist
Iannis Xenakis war von unbedingtem Innovationswillen durchdrungen. Er versuche mit jedem Werk etwas völlig Neuartiges zu erschaffen, erklärte er. „Aus welchem Grund sollte ich sonst komponieren?“ Wenig revolutionär mag zunächst erscheinen, dass Xenakis Inspiration aus Klangvorgängen der Umwelt bezog, wie er sie etwa im „Aufprall von Hagel oder Regen auf einer harten Oberfläche” oder im „Zirpen von Zikaden auf einer Sommerwiese“ beobachtete. Doch der studierte Ingenieur betrat musikalisches Neuland mit seinem interdisziplinären Ansatz. Er legte die zufallsbasierten und mithilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu erfassenden Gesetzmäßigkeiten derartiger klanglicher Phänomene seinen Kompositionen zugrunde und experimentierte mit weiteren mathematischen Disziplinen wie Mengenlehre und Spieltheorie. Seine Musik fordert Äußerstes von den Interpreten und eröffnet dem geneigten Hörer eine von elementarer Energie, hochkomplexer Rhythmik und spektakulären Texturen geprägte Klangwelt. 20C stellt vier seiner Werke vor, die zwischen 1968 und 1986 entstanden:
„Synaphaï“ und
„Keqrops“ für Klavier und Orchester,
„Aroura“ für 12 Streicher und die Ballettmusik
„Antikhthon“ für 86 oder 60 Musiker. Die Aufnahmen stammen vom
New Philharmonia Orchestra unter der Leitung von
Elgar Howarth und dem
Gustav Mahler Jugendorchester unter
Claudio Abaddo. Es spielen die Pianisten
Geoffrey Douglas Madge und
Roger Woodward. Zwei Spätwerke von Elliott Carter Ausgestattet mit einer klassisch-humanistischen Universalbildung nach dem Ideal des 19.Jahrhunderts war es dem 2012 im Alter von 103 Jahren gestorbenen Komponisten
Elliott Carter vergönnt, die gesamte Musikgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts zu erleben und durch seine Werke zu prägen. 1908 geboren, studierte er in Harvard zunächst Mathematik, Literatur, Altgriechisch und Philosophie sowie Klavier und Oboe, bevor er sich für ein Komponistendasein entschied. Über seinen künstlerischen Werdegang sagte er einmal: „Als junger Mann suchte ich Zuflucht in der populistischen Idee, für die Allgemeinheit zu schreiben. Doch ich erkannte bald, dass sie sich nicht um mich scherte. So beschloss ich, für mich selbst zu schreiben. Seither zeigen die Leute Interesse.“ Carter komponierte zunächst im Stil des Neoklassizismus, bevor er eine zunehmend komplexe Musiksprache entwickelte, deren Dramatik aus der Begegnung instrumentaler Charaktere erwächst, die im Ausdruck gegensätzlich und rhythmisch voneinander unabhängig agieren. In seinem Spätwerk fand er zu einer neuen Klarheit. 20C präsentiert Aufnahmen zweier Werke, die Carter im Alter von 88 Jahren vollendete: sein größtes Orchesterwerk
„Symphonia“ in einer Einspielung des
BBC Symphony Orchestra und das
Klarinettenkonzert, interpretiert von Solist
Michael Collins und der
London Sinfonietta. Beide Aufnahmen leitet
Oliver Knussen. Die übrigen neuen Folgen der Serie 20C sind Werken von Sergey Prokofiev, Paul Hindemith, Aaron Copland, Sofia Gubaidulina, Hans Werner Henze, Alban Berg und Charles Ives gewidmet. Eine Übersicht aller Titel finden Sie
hier.